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Ich redete also herum, dies sei ganz unbedenklich, solche Ohnmächten
gehörten zum regulären Lauf der Dinge, im Gegenteil, sie verbürgten beinahe
eine gute Entwicklung. Ich zitierte Fälle aus den klinischen Zeitungen … ich
sprach, ich sprach, lässig und leicht, immer die Angelegenheit ganz wie eine
Banalität betrachtend und … und wartete immer, daß sie mich unterbrechen
wĂĽrde. Denn ich wuĂźte, sie wĂĽrde es nicht ertragen.
Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Handbewegung gleichsam
das ganze beruhigende Gerede wegstreifend.
»Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Damals, als ich meinen
Buben bekam, war ich in besserer Verfassung … aber jetzt bin ich nicht mehr
allright … ich habe Herzzustände … «
»Ach, Herzzustände«, wiederholte ich, scheinbar beunruhigt, »da will ich
doch gleich nachsehen.« Und ich machte eine Bewegung, als ob ich aufstehen
und das Hörrohr holen wollte.
Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und
bestimmt – wie am Kommandoplatz.
»Ich habe Herzzustände, Doktor, und ich muß Sie bitten, zu glauben, was
ich Ihnen sage. Ich möchte nicht viel Zeit mit Untersuchungen verlieren – Sie
könnten mir, meine ich, etwas mehr Vertrauen entgegenbringen. Ich
wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug bezeugt.«
Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung. Und ich nahm sie an.
»Zum Vertrauen gehört Offenheit, rückhaltlose Offenheit. Reden Sie klar,
ich bin Arzt. Und vor allem nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich her,
lassen Sie die BĂĽcher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im
Schleier.«
Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick zögerte sie. Dann
setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz so wie
ich es – gefürchtet hatte, ein undurchdringliches Gesicht, hart, beherrscht, von
einer alterslosen Schönheit, ein Gesicht mit grauen englischen Augen, in
denen alles Ruhe schien und hinter die man doch alles Leidenschaftliche
träumen konnte. Dieser schmale, verpreßte Mund gab kein Geheimnis her,
wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir einander an – sie befehlend
und fragend zugleich, mit einer so kalten, stählernen Grausamkeit, daß ich es
nicht ertrug und unwillkĂĽrlich zur Seite blickte.
Sie klopfte leicht mit dem Knöchel auf den Tisch. Also auch in ihr war
Nervosität. Dann sagte sie plötzlich rasch: »Wissen Sie, Doktor, was ich von
Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?«
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik