Page - 25 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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daß der Bambus splittert und kracht … und schon schwinge ich mich auf das
Rad und sause ihr nach … ich muß sie … ich muß sie erreichen, ehe sie zu
ihrem Automobil gelangt … ich muß sie sprechen …
Die Straße staubt an mir vorbei … jetzt merke ich erst, wie lange ich oben
starr gestanden haben mußte … da … auf der Kurve im Wald knapp vor der
Station sehe ich sie, wie sie hastig mit steifem geradem Schritt hineilt,
begleitet von dem Boy … Aber auch sie muß mich gesehen haben, denn sie
spricht jetzt mit dem Boy, der zurückbleibt, und geht allein weiter … Was will
sie tun? Warum will sie allein sein? … Will sie mit mir sprechen, ohne daß er
es hört? … Blindwütig trete ich in die Pedale hinein … Da springt mir
plötzlich quer von der Seite etwas über den Weg … der Boy … ich kann
gerade noch das Rad zur Seite reißen und krache hin …
Ich stehe fluchend auf … unwillkürlich hebe ich die Faust, um dem Tölpel
eins hinzuknallen, aber er springt zur Seite … Ich rüttle mein Fahrrad hoch,
um wieder aufzusteigen … Aber da springt der Halunke vor, faßt das Rad und
sagt in seinem erbärmlichen Englisch: »You remain here.«
Sie haben nicht in den Tropen gelebt … Sie wissen nicht, was das für eine
Frechheit ist, wenn ein solcher gelber Halunke einem weißen ›Herrn‹ das Rad
faßt und ihm, dem ›Herrn‹, befiehlt, dazubleiben. Statt aller Antwort schlage
ich ihm die Faust ins Gesicht … er taumelt, aber er hält das Rad fest … seine
Augen, seine engen, feigen Augen sind weit aufgerissen in sklavischer
Angst … aber er hält die Stange, hält sie teuflisch fest … »You remain here«,
stammelt er noch einmal. Zum Glück hatte ich keinen Revolver bei mir. Ich
hätte ihn sonst niedergeknallt. »Weg, Kanaille!« sage ich nur. Er starrt mich
geduckt an, läßt aber die Stange nicht los. Ich schlage ihm noch einmal auf
den Schädel, er läßt noch immer nicht. Da faßt mich die Wut … ich sehe, daß
sie schon fort, vielleicht schon entkommen ist … und versetzte ihm einen
regelrechten Boxerschlag unters Kinn, daß er hinwirbelt. Jetzt habe ich
wieder mein Rad … aber wie ich aufspringe, stockt der Lauf … bei dem
gewaltsamen Zerren hat sich die Speiche verbogen … Ich versuche mit
fiebernden Händen sie geradezudrehen … Es geht nicht … so schmeiße ich
das Rad quer auf den Weg neben den Halunken hin, der blutend aufsteht und
zur Seite weicht … Und dann – nein, Sie können nicht fühlen, wie lächerlich
das dort vor allen Menschen ist, wenn ein Europäer … nun, ich wußte nicht
mehr, was ich tat … ich hatte nur den einen Gedanken: ihr nach, sie
erreichen … und so lief ich, lief wie ein Rasender die Landstraße entlang
vorbei an den Hütten, wo das gelbe Gesindel staunend sich vordrängte, einen
weißen Mann, den Doktor, laufen zu sehen.
Schweißtriefend kam ich in der Station an … Meine erste Frage: Wo ist das
Auto? … Eben weggefahren … Verwundert sehen mich die Leute an: als
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik