Page - 30 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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ich könnte Ihnen nicht sagen, wieso mich diese plötzliche Gewißheit
verwirrend faßte, aber noch während ich mit dem Gouverneur sprach, den
Klang seiner Worte im Ohr, spĂĽrte ich im RĂĽcken irgendwo ihre Gegenwart.
Glücklicherweise endete der Gouverneur bald das Gespräch – ich glaube, ich
hätte mich sonst plötzlich brüsk umgewandt, so stark war dieses
geheimnisvolle Ziehen in meinen Nerven, so brennend gereizt meine Begier.
Und wirklich, kaum daĂź ich mich umwandte, sah ich sie schon ganz genau an
jener Stelle, wo sie unbewuĂźt mein GefĂĽhl geahnt. Sie stand in einem gelben
Ballkleid, das ihre schmalen, reinen Schultern wie mattes Elfenbein
vorleuchten ließ, plaudernd inmitten einer Gruppe. Sie lächelte, aber doch,
mir war, als hätte ihr Gesicht einen gespannten Zug. Ich trat näher – sie
konnte mich nicht sehen oder wollte mich nicht sehen – und blickte in dieses
Lächeln, das gefällig und höflich um die schmalen Lippen zitterte. Und dieses
Lächeln berauschte mich von neuem, weil es … nun weil ich wußte, daß es
LĂĽge war, Kunst oder Technik, Meisterschaft der Verstellung. Mittwoch ist
heute, fuhr mir durch den Kopf, Samstag kommt das Schiff mit dem
Gatten … wie kann sie so lächeln, so … so sicher, so sorglos lächeln und den
Fächer lässig in der Hand spielen lassen, statt ihn zu zerkrampfen in Angst?
Ich … ich, der Fremde … ich zitterte seit zwei Tagen vor jener Stunde … ich,
der Fremde, lebte ihre Angst, ihr Entsetzen mit allen Exzessen des GefĂĽhls
mit … und sie ging auf den Ball und lächelte, lächelte, lächelte …
Rückwärts setzte die Musik ein. Der Tanz begann. Ein älterer Offizier hatte
sie aufgefordert, sie lieĂź mit einer Entschuldigung den plaudernden Kreis und
schritt an seinem Arm gegen den andern Saal zu, an mir vorbei. Wie sie mich
erblickte, spannte sich plötzlich ihr Gesicht gewaltsam zusammen – aber nur
eine Sekunde lang, dann nickte sie mir mit einem höflichen Erkennen (ehe ich
mich noch zu grĂĽĂźen oder nichtgrĂĽĂźen entschlossen hatte) wie einem
zufälligen Bekannten zu: »Guten Abend, Doktor« und war schon vorbei.
Niemand hätte ahnen können, was in diesem graugrünen Blick verborgen war,
und ich, ich selbst wußte es nicht. Warum grüßte sie … warum erkannte sie
mich nun mit einmal an? … War das Abwehr, war es Annäherung, war es nur
die Verlegenheit der Ăśberraschung? Ich kann Ihnen nicht schildern, in
welcher Erregtheit ich zurĂĽckblieb, alles war aufgewĂĽhlt, war explosiv in mir
zusammengepreßt, und wie ich sie so sah, lässig walzend am Arme des
Offiziers, auf der Stirne den kĂĽhlen Glanz der Sorglosigkeit, indes ich doch
wußte, daß sie … daß sie so wie ich nur daran … daran dachte … daß wir
zwei hier allein ein furchtbares Geheimnis gemeinsam hatten … und sie
walzte … in diesen Sekunden wurde meine Angst, meine Gier und meine
Bewunderung noch mehr Leidenschaft als jemals. Ich weiĂź nicht, ob mich
jemand beobachtet hat, aber gewiĂź verriet ich mich in meinem Verhalten noch
viel mehr, als sie sich verbarg – ich konnte eben nicht in eine andere Richtung
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik