Page - 31 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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schauen, ich mußte … ja, ich mußte sie ansehen, ich sog, ja ich zerrte von
ferne an ihrem verschlossenen Gesicht, ob die Maske nicht für eine Sekunde
fallen wollte. Und sie mußte diesen starren Blick unangenehm empfunden
haben. Als sie am Arme ihres Tänzers zurückschritt, sah sie mich im
Blitzlicht einer Sekunde an, scharf befehlend, wie wegweisend: wieder
spannte sich jene kleine Falte des hochmütigen Zornes, die ich schon von
damals kannte, böse über ihrer Stirn.
Aber … aber … ich sagte es Ihnen ja … ich lief Amok, ich sah nicht nach
rechts und nicht nach links. Ich verstand sie sofort – dieser Blick hieß: sei
nicht auffällig! bezähme dich! – ich wußte, daß sie … wie soll ich es
sagen? … daß sie Diskretion des Benehmens hier im offenen Saal von mir
wollte … ich verstand, daß, wenn ich jetzt heimginge, ich morgen gewiß sein
könne, von ihr empfangen zu werden … daß sie es nur jetzt, nur jetzt
vermeiden wollte, meiner auffälligen Vertraulichkeit ausgesetzt zu sein, daß
sie – und wie sehr mit Recht – von meinem Ungeschick eine Szene
fürchtete … Sie sehen … ich wußte alles, ich verstand diesen befehlenden
grauen Blick, aber … aber es war zu stark in mir, ich mußte sie sprechen. Und
so schwankte ich hin zu der Gruppe, in der sie plaudernd stand, schob mich –
obwohl ich nur einige der Anwesenden kannte – ganz an den lockeren Kreis
heran nur aus Begier, sie sprechen zu hören, und doch immer scheu mich
duckend wie ein geprügelter Hund vor ihrem Blick, wenn er kalt an mir
vorbeistreifte, als sei ich eine der Leinenportieren, an der ich lehnte, oder die
Luft, die sie leicht bewegte. Aber ich stand, durstig nach einem Wort, das sie
zu mir sprechen sollte, nach einem Zeichen des Einverständnisses, stand und
stand starren Blickes inmitten des Geplauders wie ein Block. Unbedingt
mußte es schon auffällig geworden sein, unbedingt, denn keiner richtete ein
Wort an mich, und sie mußte leiden unter meiner lächerlichen Gegenwart.
Wie lange ich so gestanden hätte, ich weiß es nicht … eine Ewigkeit
vielleicht … ich konnte ja nicht fort aus dieser Bezauberung des Willens.
Gerade die Hartnäckigkeit meiner Wut lähmte mich … Aber sie ertrug es
nicht länger … plötzlich wandte sie sich mit der prachtvollen Leichtigkeit
ihres Wesens gegen die Herren und sagte: »Ich bin ein wenig müde … ich
will heute einmal früher zu Bett gehen … Gute Nacht!« … und schon streifte
sie mit einem gesellschaftlich fremden Kopfnicken an mir vorbei … ich sah
noch die hochgezogene Falte auf der Stirn und dann nur mehr den Rücken,
den weißen, kühlen, nackten Rücken. Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich
begriff, daß sie fortging … daß ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen
könnte diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung … einen Augenblick
lang also stand ich noch starr, bis ichs begriff … dann … dann …
Aber warten Sie … warten Sie … Sie werden sonst das Sinnlose, das
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik