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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 36 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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an … Hinter dem Türspalt zischelte eine Stimme, fragte und fragte … Ich konnte es nicht mehr ertragen, sprang vom Sitz, stieß die angelehnte Tür auf … ein altes chinesisches Weib flüchtete mit einem kleinen Schrei zurück … hinter mir kam der Boy, führte mich durch den Gang … klinkte eine andere Tür auf … eine andere Türe in einen dunklen Raum, der übel roch von Branntwein und gestocktem Blut .. Irgend etwas stöhnte darin … ich tappte hin … « * Wieder stockte die Stimme. Und was dann ausbrach, war mehr ein Schluchzen als ein Sprechen. »Ich … Ich tappte hin … und dort … dort lag auf einer schmutzigen Matte … verkrümmt vor Schmerz … ein stöhnendes Stück Mensch … dort lag sie … Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen im Dunkel … Meine Augen waren noch nicht gewöhnt … so tastete ich nur hin … ihre Hand … heiß … brennend heiß … Fieber, hohes Fieber … und ich schauerte … ich wußte sofort alles … sie war hierher geflüchtet vor mir … hatte sich verstümmeln lassen von irgendeiner schmutzigen Chinesin, nur weil sie hier mehr Schweigsamkeit erhoffte … hatte sich morden lassen von irgendeiner teuflischen Hexe, lieber als mir zu vertrauen … nur weil ich Wahnsinniger … weil ich ihren Stolz nicht geschont, ihr nicht gleich geholfen hatte … weil sie den Tod weniger fürchtete als mich … Ich schrie nach Licht. Der Boy sprang: die abscheuliche Chinesin brachte mit zitternden Händen eine rußende Petroleumlampe … ich mußte mich halten, um der gelben Kanaille nicht an die Gurgel zu springen … sie stellten die Lampe auf den Tisch … der Lichtschein fiel gelb und hell über den gemarterten Leib … Und plötzlich … plötzlich war alles weg von mir, alle Dumpfheit, aller Zorn, all diese unreine Jauche von aufgehäufter Leidenschaft … ich war nur mehr Arzt, helfender, spürender, wissender Mensch … ich hatte mich vergessen … ich kämpfte mit wachen, klaren Sinnen gegen das Entsetzliche … Ich fühlte den nackten Leib, den ich in meinen Träumen begehrt, nur mehr als … wie soll ich es sagen … als Materie, als Organismus … ich spürte nicht mehr sie, sondern nur das Leben, das sich gegen den Tod wehrte, den Menschen, der sich krümmte in mörderischer Qual … Ihr Blut, ihr heißes, heiliges Blut überströmte meine Hände, aber ich spürte es nicht in Lust und nicht in Grauen … ich war nur Arzt … ich sah nur das Leiden … und sah … Und sah sofort, daß alles verloren war, wenn nicht ein Wunder geschehe … sie war verletzt und halb verblutet unter der verbrecherisch ungeschickten Hand … und ich hatte nichts, um das Blut zu stillen in dieser stinkenden Höhle, nicht einmal reines Wasser … alles, was ich anrührte, starrte von 36
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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