Page - 37 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Schmutz …
»Wir müssen sofort ins Spital«, sagte ich. Aber kaum daß ichs gesagt,
bäumte sich krampfig der gemarterte Leib auf. »Nein … nein … lieber
sterben … niemand es erfahren … niemand es erfahren … nach Hause …
nach Hause … «
Ich verstand … nur mehr um das Geheimnis, um ihre Ehre rang sie … nicht
um ihr Leben … Und – ich gehorchte … Der Boy brachte eine Sänfte … wir
betteten sie hinein … und so … wie eine Leiche schon, matt und fiebernd …
trugen wir sie durch die Nacht … nach Hause … die fragende, erschreckte
Dienerschaft abwehrend … wie Diebe trugen wir sie hinein in ihr Zimmer
und sperrten die Türen … Und dann … dann begann der Kampf, der lange
Kampf gegen den Tod … «
*
Plötzlich krampfte sich eine Hand in meinen Arm, daß ich fast aufschrie
vor Schreck und Schmerz. Im Dunkeln war mir das Gesicht mit einemmal
fratzenhaft nah, ich sah die weißen Zähne, wie sie sich bleckten in
plötzlichem Ausbruch, sah die Augengläser im fahlen Reflex des Mondlichts
wie zwei riesige Katzenaugen glimmen. Und jetzt sprach er nicht mehr – er
schrie, geschüttelt von einem heulenden Zorn:
»Wissen Sie denn, Sie fremder Mensch, der Sie hier lässig auf einem
Deckstuhl sitzen, ein Spazierenfahrer durch die Welt, wissen Sie, wie das ist,
wenn ein Mensch stirbt? Sind Sie schon einmal dabeigewesen, haben Sie es
gesehen, wie der Leib sich aufkrümmt, die blauen Nägel ins Leere krallen,
wie die Kehle röchelt, jedes Glied sich wehrt, jeder Finger sich stemmt gegen
das Entsetzliche, und wie das Auge aufspringt in einem Grauen, für das es
keine Worte gibt? Haben Sie das schon einmal erlebt, Sie Müßiggänger, Sie
Weltfahrer, Sie, der Sie vom Helfen reden als von einer Pflicht? Ich habe es
oft gesehen als Arzt, habe es gesehen als … als klinischen Fall, als
Tatsache … habe es sozusagen studiert – aber erlebt habe ichs nur einmal,
miterlebt, mitgestorben bin ich nur damals in jener Nacht … in jener
entsetzlichen Nacht, wo ich saß und mir das Hirn zerpreßte, um etwas zu
wissen, etwas zu finden, zu erfinden gegen das Blut, das rann und rann und
rann, gegen das Fieber, das sie vor meinen Augen verbrannte … gegen den
Tod, der immer näher kam und den ich nicht wegdrängen konnte vom Bett.
Verstehen Sie, was das heißt, Arzt zu sein, alles wissen gegen alle
Krankheiten – die Pflicht haben, zu helfen, wie Sie so weise sagen – und doch
ohnmächtig bei einer Sterbenden zu sitzen, wissend und doch ohne Macht …
nur dies eine, dies Entsetzliche wissend, daß man nicht helfen kann, ob man
sich auch jede Ader in seinem Körper aufreißen möchte … einen geliebten
Körper zu sehen, wie er elend verblutet, gemartert von Schmerzen, einen Puls
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik