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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 38 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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zu fühlen, der fliegt und zugleich verlischt … der einem wegfließt unter den Fingern … Arzt zu sein und nichts zu wissen, nichts, nichts, nichts … nur dazusitzen und irgendein Gebet stammeln wie ein Hutzelweib in der Kirche, und dann wieder die Fäuste ballen gegen einen erbärmlichen Gott, von dem man weiß, daß es ihn nicht gibt … Verstehen Sie das? Verstehen Sie das? … Ich … ich verstehe nur eines nicht, wie … wie man es macht, daß man nicht mitstirbt in solchen Sekunden … daß man dann noch am nächsten Morgen von einem Schlaf aussteht und sich die Zähne putzt und eine Krawatte umbindet … daß man noch leben kann, wenn man das miterlebte, was ich fühlte, wie dieser Atem, dieser erste Mensch, um den ich rang und kämpfte, den ich halten wollte mit allen Kräften meiner Seele … wie der wegglitt unter mir … irgendwohin, immer rascher wegglitt, Minute um Minute und ich nichts wußte in meinem fiebernden Gehirn, um diesen, diesen einen Menschen festzuhalten … Und dazu, um teuflisch noch meine Qual zu verdoppeln, dazu noch dies … Während ich an ihrem Bett saß – ich hatte ihr Morphium eingegeben, um die Schmerzen zu lindern, und sah sie liegen, mit heißen Wangen, heiß und fahl – ja … während ich so saß, spürte ich vom Rücken her immer zwei Augen auf mich gerichtet mit einem fürchterlichen Ausdruck der Spannung … Der Boy saß dort auf den Boden gekauert und murmelte leise irgendwelche Gebete … Wenn mein Blick den seinen traf, so … nein, ich kann es nicht schildern … so kam etwas so Flehendes, so … so Dankbares in seinen hündischen Blick, und gleichzeitig hob er die Hände zu mir, als wollte er mich beschwören, sie zu retten … verstehen Sie: zu mir, zu mir hob er die Hände wie zu einem Gott … zu mir … dem ohnmächtigen Schwächling, der wußte, daß alles verloren … daß ich hier so unnötig sei wie eine Ameise, die am Boden raschelt … Ah, dieser Blick, wie er mich quälte, diese fanatische, diese tierische Hoffnung auf meine Kunst … ich hätte ihn anschreien können und mit dem Fuß treten, so weh tat er mir … und doch, ich spürte, wie wir beide zusammenhingen durch unsere Liebe zu ihr … durch das Geheimnis … Ein lauerndes Tier, ein dumpfes Knäuel saß er zusammengeballt knapp hinter mir … kaum daß ich etwas verlangte, sprang er auf mit seinen nackten lautlosen Sohlen und reichte es zitternd … erwartungsvoll her, als sei das die Hilfe … die Rettung … Ich weiß, er hätte sich die Adern aufgeschnitten, um ihr zu helfen … so war diese Frau, solche Macht hatte sie über Menschen … und ich … ich hatte nicht Macht, ein Quentchen Blut zu retten … O diese Nacht, diese entsetzliche Nacht, diese unendliche Nacht zwischen Leben und Tod! Gegen Morgen ward sie noch einmal wach … sie schlug die Augen auf … jetzt waren sie nicht mehr hochmütig und kalt … ein Fieber glitzerte feucht darin, als sie, gleichsam fremd, das Zimmer abtasteten … Dann sah sie mich an: sie schien nachzudenken, sich erinnern zu wollen an mein Gesicht … und 38
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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