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»Wußten Sie, daß ich ihr Arzt war?«
»Ja, aber es tat Eile not … und dann … die Verstorbene hatte ausdrücklich
mich verlangt. Sie hatte verboten, einen andern Arzt rufen zu lassen.«
Er starrte mich an: in seinem bleichen, etwas verfetteten Gesicht flog eine
Röte hoch, ich spürte, daß er erbittert war. Aber gerade das brauchte ich – alle
meine Energien drängten sich zu rascher Entscheidung, denn ich spürte, lange
hielten es meine Nerven nicht mehr aus. Er wollte etwas Feindliches
erwidern, dann sagte er lässig: »Wenn Sie schon meinen, mich entbehren zu
können, so ist es doch meine amtliche Pflicht, den Tod zu konstatieren und …
wie er eingetreten ist.«
Ich antwortete nicht und ließ ihn vorangehen. Dann trat ich zurück, schloß
die Tür und legte den Schlüssel auf den Tisch. Überrascht zog er die
Augenbrauen hoch:
»Was bedeutet das?«
Ich stellte mich ruhig ihm gegenüber:
»Es handelt sich hier nicht darum, die Todesursache festzustellen, sondern
– eine andere zu finden. Diese Frau hat mich gerufen, um sie nach … nach
den Folgen eines verunglückten Eingriffes zu behandeln … ich konnte sie
nicht mehr retten, aber ich habe ihr versprochen, ihre Ehre zu retten, und das
werde ich tun. Und ich bitte Sie darum, mir zu helfen!«
Seine Augen waren ganz weit geworden vor Erstaunen. »Sie wollen doch
nicht etwa sagen,« stammelte er dann, »daß ich, der Amtsarzt, hier ein
Verbrechen decken soll?«
»Ja, das will ich, das muß ich wollen.«
»Für Ihr Verbrechen soll ich … «
»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich diese Frau nicht berührt habe, sonst …
sonst stünde ich nicht vor Ihnen, sonst hätte ich längst mit mir Schluß
gemacht. Sie hat ihr Vergehen – wenn Sie es so nennen wollen – gebüßt, die
Welt braucht davon nichts zu wissen. Und ich werde es nicht dulden, daß die
Ehre dieser Frau jetzt noch unnötig beschmutzt wird.«
Mein entschlossener Ton reizte ihn nur noch mehr auf. »Sie werden nicht
dulden … so … nun, Sie sind ja mein Vorgesetzter … oder glauben es
wenigstens schon zu sein … Versuchen Sie nur, mir zu befehlen … ich habe
mirs gleich gedacht, da ist Schmutziges im Spiel, wenn man Sie aus Ihrem
Winkel herruft … eine saubere Praxis, die Sie da anfangen, ein sauberes
Probestück … Aber jetzt werde ich untersuchen, ich, und Sie können sich
darauf verlassen, daß ein Protokoll, unter dem mein Name steht, richtig sein
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik