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zu decken. Aber was war das in mir, das mich so … so furchtbar … so
gequält machte – plötzlich streckte er mir die Hand hin und schüttelte sie mit
einer aufspringenden Herzlichkeit. »Überstehen Sie’s gut«,sagte er – ich
wußte nicht, was er meinte. War ich krank? War ich … wahnsinnig? Ich
begleitete ihn zur Tür, schloß auf – aber das war meine letzte Kraft, die hinter
ihm die Tür schloß. Dann kam dies Ticken wieder in die Schläfen, alles
schwankte und kreiste: und gerade vor ihrem Bett fiel ich zusammen … so …
so wie der Amokläufer am Ende seines Laufs sinnlos niederfällt mit
zersprengten Nerven.«
*
Wieder hielt er inne. Irgendwie fröstelte michs: war das erster Schauer des
Morgenwinds, der jetzt leise sausend über das Schiff lief? Aber das gequälte
Gesicht – nun schon halb erhellt vom Widerschein der Frühe – spannte sich
wieder zusammen:
»Wie lang ich so auf der Matte gelegen hatte, weiß ich nicht. Da rührte
michs an. Ich fuhr auf. Es war der Boy, der zaghaft mit seiner devoten Geste
vor mir stand und mir unruhig in den Blick sah.
»Es will jemand herein … will sie sehen … «
»Niemand darf herein.«
»Ja … aber … «
Seine Augen waren erschreckt. Er wollte etwas sagen und wagte es doch
nicht. Das treue Tier litt irgendwie eine Qual.
»Wer ist es?«
Er sah mich zitternd an wie in Furcht vor einem Schlag. Und dann sagte er
– er nannte keinen Namen … woher ist in solch einem niedern Wesen mit
einmal so viel Wissen, wie kommt es, daß in manchen Sekunden ein
unbeschreibliches Zartgefühl derlei ganz dumpfe Menschen beseelt? … dann
sagte er … ganz, ganz ängstlich … »Er ist es.«
Ich fuhr auf, verstand sofort und war sofort ganz Gier, ganz Ungeduld nach
diesem Unbekannten. Denn sehen Sie, wie sonderbar … inmitten all dieser
Qual, in diesem Fieber von Verlangen, von Angst und Hast hatte ich ganz an
›ihn‹ vergessen … vergessen, daß da noch ein Mann im Spiele war … der
Mann, den diese Frau geliebt, dem sie leidenschaftlich das gegeben, was sie
mir verweigert … Vor zwölf, vor vierundzwanzig Stunden hätte ich diesen
Mann noch gehaßt, ihn noch zerfleischen können … Jetzt … ich kann, ich
kann Ihnen nicht schildern, wie es mich jagte, ihn zu sehen … ihn … zu
lieben, weil sie ihn geliebt.
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik