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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 45 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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entgegenzuschreien: »Ich! Ich! Ich! … Und du! … Wir beide! Und ihr Trotz, ihr unseliger Trotz!« Aber ich hielt mich zurück. Ich wiederholte noch einmal: »Nein … niemand hat schuld daran … es war ein Verhängnis!« »Ich kann es nicht glauben,« stöhnte er, »ich kann es nicht glauben. Sie war noch vorgestern auf dem Balle, sie lächelte, sie winkte mir zu. Wie ist das möglich, wie konnte das geschehen?« Ich erzählte eine lange Lüge. Auch ihm verriet ich ihr Geheimnis nicht. Wie zwei Brüder sprachen wir zusammen alle diese Tage, gleichsam überstrahlt von dem Gefühl, das uns verband … und das wir einander nicht anvertrauten, aber wir spürten einer vom andern, daß unser ganzes Leben an dieser Frau hing … Manchmal drängte sichs mir würgend an die Lippen, aber dann biß ich die Zähne zusammen – nie hat er erfahren, daß sie ein Kind von ihm trug … daß ich das Kind, sein Kind, hätte töten sollen, und daß sie es mit sich selbst in den Abgrund gerissen. Und doch sprachen wir nur von ihr in diesen Tagen, während derer ich mich bei ihm verbarg … denn – das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen – man suchte nach mir … Ihr Mann war gekommen, als der Sarg schon geschlossen war … er wollte den Befund nicht glauben … die Leute munkelten allerlei … und er suchte mich … Aber ich konnte es nicht ertragen, ihn zu sehen, ihn, von dem ich wußte, daß sie unter ihm gelitten … ich verbarg mich … vier Tage ging ich nicht aus dem Hause, gingen wir beide nicht aus der Wohnung … ihr Geliebter hatte mir unter einem falschen Namen einen Schiffsplatz genommen, damit ich flüchten könne, … wie ein Dieb bin ich nachts auf das Deck geschlichen, daß niemand mich erkennt … Alles habe ich zurückgelassen, was ich besitze … mein Haus mit der ganzen Arbeit dieser sieben Jahre, mein Hab und Gut, alles steht offen für jeden, der es haben will … und die Herren von der Regierung haben mich wohl schon gestrichen, weil ich ohne Urlaub meinen Posten verließ … Aber ich konnte nicht leben mehr in diesem Haus, in dieser Stadt … in dieser Welt, wo alles mich an sie erinnert … wie ein Dieb bin ich geflohen in der Nacht … nur ihr zu entrinnen … nur zu vergessen … Aber … wie ich an Bord kam … nachts … mitternachts … mein Freund war mit mir … da … da … zogen sie gerade am Kran etwas herauf … rechteckig, schwarz … ihren Sarg … hören Sie: ihren Sarg … sie hat mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte … und ich mußte dabeistehen, mich fremd stellen, denn er, ihr Mann, war mit … er begleitet ihn nach England … vielleicht will er dort eine Autopsie machen lassen … er hat sie an sich gerissen … jetzt gehört sie wieder ihm … nicht uns mehr, uns … uns beiden … Aber ich bin noch da … ich gehe mit bis zur letzten Stunde … er wird, er darf es nie erfahren … ich werde ihr Geheimnis zu verteidigen wissen gegen jeden Versuch … gegen diesen Schurken, vor dem sie in den 45
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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