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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 46 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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Tod gegangen ist … Nichts, nichts wird er erfahren … ihr Geheimnis gehört mir, nur mir allein … Verstehen Sie jetzt … verstehen Sie jetzt … warum ich die Menschen nicht sehen kann … ihr Gelächter nicht hören … wenn sie flirten und sich paaren … denn da drunten … drunten im Lagerraum zwischen Teeballen und Paranüssen steht der Sarg verstaut … Ich kann nicht hin, der Raum ist versperrt … aber ich weiß es mit allen meinen Sinnen, weiß es in jeder Sekunde … auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango … es ist ja dumm, das Meer da schwemmt über Millionen Tote, auf jedem Fußbreit Erde, den man tritt, fault eine Leiche … aber doch, ich kann es nicht ertragen, ich kann es nicht ertragen, wenn sie Maskenbälle geben und so geil lachen … diese Tote, ich spüre sie, und ich weiß, was sie von mir will … ich weiß es, ich habe noch eine Pflicht … ich bin noch nicht zu Ende … noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet … sie gibt mich noch nicht frei … « * Vom Mittelschiff kamen schlurfende Schritte, klatschende Laute: Matrosen begannen das Deck zu scheuern. Er fuhr auf wie ertappt: sein zerspanntes Gesicht bekam einen ängstlichen Zug. Er stand auf und murmelte: »Ich gehe schon … ich gehe schon.« Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verwüsteten Blick, die gedunsenen Augen, rot von Trinken oder Tränen. Er wich meiner Anteilnahme aus: ich spürte aus seinem geduckten Wesen Scham, unendliche Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillkürlich sagte ich: »Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen … « Er sah mich an – ein höhnischer, harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas Böses stieß und verkrümmte jedes Wort. »Aha … Ihre famose Pflicht, zu helfen … aha … Mit der Maxime haben Sie mich ja glücklich zum Schwatzen gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, daß mir jetzt leichter sei, seit ich mir die Eingeweide vor Ihnen aufgerissen habe bis zum Kot in meinen Därmen. Mein verpfuschtes Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken … ich habe eben umsonst der verehrlichen holländischen Regierung gedient … die Pension ist futsch, ich komme als armer Hund nach Europa zurück … ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt … man läuft nicht lange ungestraft Amok, am Ende schlägts einen doch nieder, und ich hoffe, ich bin bald am Ende … Nein, danke, mein Herr, für Ihren gütigen Besuch … ich habe schon in der Kabine meine Gefährten … ein paar gute alte Flaschen Whisky, die trösten mich manchmal, und dann meinen Freund von damals, an den ich 46
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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