Page - 50 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Kies zog. Einmal rückte ich weiter, als das dünne Viereck Schatten sich
verkürzte und die Sonne schon heran an meine Hände kroch, dann blieb ich
wieder hingelehnt, stumpf brütend ins stumpfe Licht, ohne Gefühl von Zeit,
ohne Wunsch, ohne Willen. Die Zeit war zerschmolzen in dieser furchtbaren
Schwüle, die Stunden zerkocht, zergangen in heißer, sinnloser Träumerei. Ich
fühlte nichts als den brennenden Andrang der Luft außen an meinen Poren
und innen den hastigen Hammerschlag des fiebrig pochenden Blutes.
Da auf einmal war mir, als ob durch die Natur ein Atem ginge, leise, ganz
leise, als ob ein heißer, sehnsüchtiger Seufzer sich aufhübe von irgendwo. Ich
raffte mich empor. War das nicht Wind? Ich hatte schon vergessen, wie das
war, zu lange hatten die verdorrenden Lungen dies Kühle nicht getrunken,
und noch fühlte ich ihn nicht bis an mich heranziehen, eingepreßt in meinen
Winkel Dachschatten; aber die Bäume dort drüben am Hang mußten eine
fremde Gegenwart geahnt haben, denn mit einem Male begannen sie ganz
leise zu schwanken, als neigten sie sich flüsternd einander zu. Die Schatten
zwischen ihnen wurden unruhig. Wie ein Lebendiges und Erregtes huschten
sie hin und her, und plötzlich hob es sich auf, irgendwo fern, ein tiefer,
schwingender Ton. Wirklich: Wind kam über die Welt, ein Flüstern, ein
Wehen und Weben, ein tiefes, orgelndes Brausen und jetzt ein stärkerer,
mächtiger Stoß. Wie von einer jähen Angst getrieben, liefen plötzlich
qualmige Wolken von Staub über die Straße, alle in gleicher Richtung, die
Vögel, die irgendwo im Dunkel gelagert hatten, zischten auf einmal schwarz
durch die Luft, die Pferde schnupperten sich den Schaum von den Nüstern,
und fern im Tale blökte das Vieh. Irgend etwas Gewaltiges war aufgewacht
und mußte nahe sein, die Erde wußte es schon, der Wald und die Tiere, und
auch über den Himmel schob sich jetzt ein leichter Flor von Grau.
Ich zitterte vor Erregung. Mein Blut war von den feinen Stacheln der Hitze
aufgereizt, meine Nerven knisterten und spannten sich, nie hatte ich so wie
jetzt die Wollust des Windes geahnt, die selige Lust des Gewitters. Und es
kam, es zog heran, es schwoll und kündete sich. Langsam schob der Wind
weiche Knäuel von Wolken herüber, es keuchte und schnaubte hinter den
Bergen, als rollte jemand eine ungeheure Last. Manchmal hielten diese
schnaubenden, keuchenden Stöße wie ermüdet wieder inne. Dann zitterten
sich die Tannen langsam still, als ob sie horchen wollten, und mein Herz
zitterte mit. Wo überall ich hinblickte, war die gleiche Erwartung wie in mir,
die Erde hatte ihre Sprünge gedehnt: wie kleine, durstige Mäuler waren sie
aufgerissen, und so fühlte ich es auch am eigenen Leibe, daß Pore an Pore
sich auftat und spannte, Kühle zu suchen und die kalte, schauernde Lust des
Regens. Unwillkürlich krampften sich meine Finger, als könnten sie die
Wolken fassen und sie rascher herreißen in die schmachtende Welt.
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik