Page - 52 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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bebten, dürstend sich auftaten und wieder sagten: »Wenn es doch nur schon
regnen wollte.« Und wieder war es mir Seufzer der ganzen verschwülten
Welt. Etwas Nachtwandlerisches und Traumhaftes war in ihrer statuenhaften
Gestalt, in ihrem gelösten Blick. Und wie sie so dastand, weiß in ihrem
lichten Kleide gegen den bleifarbnen Himmel, schien sie mir der Durst, die
Erwartung der ganzen schmachtenden Natur.
Etwas zischte leise neben mir ins Gras. Etwas pickte hart auf dem Gesims.
Etwas knirschte leise im heißen Kies. Überall war plötzlich dieser leise
surrende Ton. Und plötzlich begriff ichs, fühlte ichs, daß dies Tropfen waren,
die schwer niederfielen, die ersten verdampfenden Tropfen, die seligen Boten
des großen, rauschenden, kühlenden Regens. Oh, es begann! Es hatte
begonnen. Eine Vergessenheit, eine selige Trunkenheit kam über mich. Ich
war wach wie nie. Ich sprang vor und fing einen Tropfen in der Hand. Schwer
und kalt klatschte er mir an die Finger. Ich riß die Mütze ab, stärker die nasse
Lust auf Haar und Stirn zu fühlen, ich zitterte schon vor Ungeduld, mich ganz
umrauschen zu lassen vom Regen, ihn an mir zu fühlen, an der warmen
knisternden Haut, in den offenen Poren, bis tief hinein in das aufgeregte Blut.
Noch waren sie spärlich, die platschenden Tropfen, aber ich fühlte ihre
sinkende Fülle schon voraus, ich hörte sie schon strömen und rauschen, die
aufgetanen Schleusen, ich spürte schon das selige Niederbrechen des
Himmels über dem Walde, über das Schwüle der verbrennenden Welt.
Aber seltsam: die Tropfen fielen nicht schneller. Man konnte sie zählen.
Einer, einer, einer, einer, fielen sie nieder, es knisterte, es zischte, es sauste
leise rechts und links, aber es wollte nicht zusammenklingen zur großen
rauschenden Musik des Regens. Zaghaft tropfte es herab, und statt schneller
zu werden, ward der Takt langsam und immer langsamer und stand dann
plötzlich still. Es war, wie wenn das Ticken eines Minutenzeigers in einer Uhr
plötzlich aufhört und die Zeit erstarrt. Mein Herz, das schon glühte vor
Ungeduld, wurde plötzlich kalt. Ich wartete, wartete, aber es geschah nichts.
Der Himmel blickte schwarz und starr nieder mit umdüsterter Stirn, totenstill
blieb es minutenlang, dann aber schien es, als ob ein leises, höhnisches
Leuchten über sein Antlitz ginge. Von Westen her hellte sich die Höhe auf,
die Wand der Wolken löste sich mählich, leise polternd rollten sie weiter.
Seichter und seichter ward ihre schwarze Unergründlichkeit, und in
ohnmächtiger, unbefriedigter Enttäuschung lag unter dem erglänzenden
Horizont die lauschende Landschaft. Wie von Wut lief noch ein leises, letztes
Zittern durch die Bäume, sie beugten und krümmten sich, dann aber fielen die
Laubhände, die schon gierig aufgereckt waren, schlaff zurück, wie tot. Immer
durchsichtiger ward der Wolkenflor, eine böse, gefährliche Helle stand über
der wehrlosen Welt. Es war nichts geschehen. Das Gewitter hatte sich
verzogen.
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik