Page - 53 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Ich zitterte am ganzen Körper. Wut war es, was ich fühlte, eine sinnlose
Empörung der Ohnmacht, der Enttäuschung, des Verrats. Ich hätte schreien
können oder rasen, eine Lust kam mich an, etwas zu zerschlagen, eine Lust
am Bösen und Gefährlichen, ein sinnloses Bedürfnis nach Rache. Ich fühlte in
mir die Qual der ganzen verratenen Natur, das Lechzen der kleinen Gräser
war in mir, die Hitze der Straßen, der Qualm des Waldes, die spitze Glut des
Kalksteines, der Durst der ganzen betrogenen Welt. Meine Nerven brannten
wie Drähte: ich fühlte sie zucken von elektrischer Spannung weithinaus in die
geladene Luft, wie viele feine Flammen glühten sie mir unter der gespannten
Haut. Alles tat mir weh, alle Geräusche hatten Spitzen, alles war wie
umzüngelt von kleinen Flammen, und der Blick, was immer er faßte,
verbrannte sich. Das tiefste Wesen in mir war aufgereizt, ich spürte, wie viele
Sinne, die sonst stumm und tot im dumpfen Hirne schliefen, sich auftaten wie
viele kleine Nüstern, und mit jeder spürte ich Glut. Ich wußte nicht mehr, was
davon meine Erregung war, und was die der Welt; die dünne Membran des
Fühlens zwischen ihr und mir war zerrissen, alles einzig erregte Gemeinschaft
der Enttäuschung, und wie ich fiebernd hinabstarrte in das Tal, das sich
allmählich mit Lichtern füllte, spürte ich, daß jedes einzelne kleine Licht in
mich hineinflimmerte, jeder Stern brannte bis in mein Blut. Es war die gleiche
maßlose, fiebernde Erregung außen und innen, und in einer schmerzhaften
Magie empfand ich alles, was um mich schwoll, gleichsam in mich gepreßt
und dort wachsend und glühend. Mir war, als brenne der geheimnisvolle,
lebendige Kern, der in alle Vielfalt einzeln eingetan ist, aus meinem innersten
Wesen, alles spürte ich, in magischer Wachheit der Sinne den Zorn jedes
einzelnen Blattes, den stumpfen Blick des Hundes, der mit gesenktem
Schweife jetzt um die Türen schlich, alles fühlte ich, und alles, was ich spürte,
tat mir weh. Fast körperlich begann dieser Brand in mir zu werden, und als
ich jetzt mit den Fingern nach dem Holz der Tür griff, knisterte es leise unter
ihnen wie Zunder, brenzlig und trocken.
Der Gong lärmte zur Abendmahlzeit. Tief in mich schlug der kupferne
Klang hinein, schmerzhaft auch er. Ich wendete mich um. Wo waren die
Menschen hin, die früher hier in Angst und Erregung vorbeigeeilt? Wo war
sie, die hier gestanden als lechzende Welt und der ich ganz vergessen in den
wirren Minuten der Enttäuschung? Alles war verschwunden. Ich stand allein
in der schweigenden Natur. Noch einmal umgriff ich Höhe und Ferne mit dem
Blick. Der Himmel war jetzt ganz leer, aber nicht rein. Über den Sternen lag
ein Schleier, ein grünlich gespannter, und aus dem aufsteigenden Mond
glitzerte der böse Glanz eines Katzenauges. Fahl war alles da oben, höhnisch
und gefährlich, tief drunten aber unter dieser unsicheren Sphäre dämmerte
dunkel die Nacht, phosphoreszierend wie ein tropisches Meer und mit dem
gequälten wollüstigen Atem einer enttäuschten Frau. Oben stand noch hell
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik