Page - 55 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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weich auf ihren Nacken. Einen Menschen, einen einzigen empfand ich jetzt,
der nicht ganz abgeschieden war von der Natur, der auch mitglühte im Brande
einer Welt, und ich wollte, daß sie wisse von unserer Bruderschaft. Ich hätte
ihr zuschreien mögen: »Fühle mich doch! Fühle mich doch! Auch ich bin
wach wie du, auch ich leide! Fühle mich! Fühle mich!« Mit der glühenden
Magnetik des Wunsches umfing ich sie. Ich starrte in ihren Rücken,
umschmeichelte von ferne ihr Haar, bohrte mich ein mit dem Blick, ich rief
sie mit den Lippen, ich preßte sie an, ich starrte und starrte, warf mein ganzes
Fieber aus, damit sie es schwesterlich fühle. Aber sie wendete sich nicht um.
Starr blieb sie, eine Statue, sitzen, kühl und fremd. Niemand half mir. Auch
sie fühlte mich nicht. Auch in ihr war nicht die Welt. Ich brannte allein.
Oh, diese Schwüle außen und innen, ich konnte sie nicht mehr ertragen.
Der Dunst der warmen Speisen, fett und süßlich, quälte mich, jedes Geräusch
bohrte sich den Nerven ein. Ich spürte mein Blut wallen und wußte mich einer
purpurnen Ohnmacht nahe. Alles lechzte in mir nach Kühle und Ferne, und
dieses Nahsein, das dumpfe, der Menschen erdrückte mich. Neben mir war
ein Fenster. Ich stieß es auf, weit auf. Und wunderbar: dort war es ganz
geheimnisvoll wieder, dieses unruhige Flackern in meinem Blute, nur
aufgelöst in das Unbegrenzte eines nächtigen Himmels. Weißgelb flimmerte
oben der Mond wie ein entzündetes Auge in einem roten Ring von Dunst, und
über die Felder schlich geisterhaft ein blasser Brodem hin. Fieberhaft zirpten
die Grillen, mit metallenen Saiten, die schrillten und gellten, schien die Luft
durchspannt. Dazwischen quäkte manchmal leise und sinnlos ein Unkenruf,
Hunde schlugen an, heulend und laut; irgendwo in der Ferne brüllten die
Tiere, und ich entsann mich, daß das Fieber in solchen Nächten den Kühen
die Milch vergifte. Krank war die Natur, auch dort diese stille Raserei der
Erbitterung, und ich starrte aus dem Fenster wie in einen Spiegel des Gefühls.
Mein ganzes Sein bog sich hinaus, meine Schwüle und die der Landschaft
flossen ineinander in eine stumme, feuchte Umarmung.
Wieder rückten neben mir die Sessel, und wieder schrak ich zusammen.
Das Diner war zu Ende, die Leute standen lärmend auf: auch meine Nachbarn
erhoben sich und gingen an mir vorbei. Der Vater zuerst, gemächlich und satt,
mit freundlichem, lächelndem Blick, dann die Mutter und zuletzt die Tochter.
Jetzt erst sah ich ihr Gesicht. Es war gelblich bleich, von derselben matten,
kranken Farbe wie draußen der Mond, die Lippen waren noch immer, wie
früher, halb geöffnet. Sie ging lautlos und doch nicht leicht. Irgend etwas
Schlaffes und Mattes war an ihr, das mich seltsam gemahnte an das eigene
Gefühl. Ich spürte sie näher kommen und war gereizt. Etwas in mir wünschte
eine Vertraulichkeit mit ihr, sie möchte mich anstreifen mit ihrem weißen
Kleide, oder daß ich den Duft ihres Haares spüren könnte im Vorübergehen.
In diesem Augenblick sah sie mich an. Starr und schwarz stieß ihr Blick in
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik