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wollüstig, und ich wehrte ihr nicht. Nur die Augen hielt ich geschlossen, um
nichts zu sehen, um stärker die Natur zu fühlen, das Lebendige, das mich
umfing. Wie ein Polyp, ein weiches, glattes, saugendes Wesen umdrängte
mich jetzt, berührte mich mit tausend Lippen die Nacht. Ich lag und fühlte
mich nachgeben, hingeben an irgend etwas, das mich umfaßte, umschmiegte,
umringte, das mein Blut trank, und zum erstenmal empfand ich in dieser
schwülen Umfassung sinnlich wie eine Frau, die sich auflöst in der sanften
Ekstase der Hingebung. Ein süßes Grauen wars mir, mit einem Male
widerstandslos zu sein und ganz meinen Leib nur der Welt hinzugeben,
wunderbar war es, wie dies Unsichtbare meine Haut zärtlich anrührte und
allmählich unter sie drang, mir die Gelenke lockerer löste, und ich wehrte
mich nicht gegen dieses Laßwerden der Sinne. Ich ließ mich hingleiten in das
neue Gefühl, und dunkel, traumhaft empfand ich nur, daß dies: die Nacht und
jener Blick von früher, die Frau und die Landschaft, daß dies eins war, in dem
es süß war, verloren zu sein. Manchmal war mir, als wäre diese Dunkelheit
nur sie, und jene Wärme, die meine Glieder rührte, ihr eigener Leib, gelöst in
Nacht wie der meine, und noch im Traume sie empfindend, schwand ich hin
in dieser schwarzen, warmen Welle von wollüstiger Verlorenheit.
Irgend etwas schreckte mich auf. Mit allen Sinnen griff ich um mich, ohne
mich zu finden. Und dann sah ichs, erkannte ichs, daß ich da gelehnt hatte mit
geschlossenen Augen und in Schlaf gesunken war. Ich mußte geschlummert
haben, eine Stunde oder Stunden vielleicht, denn das Licht in der Halle des
Hotels war schon erloschen und alles längst zur Ruhe gegangen. Das Haar
klebte mir feucht an den Schläfen, wie ein heißer Tau schien dieser traumhaft
traumlose Schlummer über mich gesunken zu sein. Ganz wirr stand ich auf,
mich ins Haus zurückzufinden. Dumpf war mir zumute, aber diese Wirrnis
war auch um mich. Etwas grölte in der Ferne, und manchmal funkelte ein
Wetterleuchten gefährlich über den Himmel hin. Die Luft schmeckte nach
Feuer und Funken, es glänzten verräterische Blitze hinter den Bergen, und in
mir phosphoreszierte Erinnerung und Vorgefühl. Ich wäre gern geblieben,
mich zu besinnen, den geheimnisvollen Zustand genießend aufzulösen: aber
die Stunde war spät, und ich ging hinein.
Die Halle war schon leer, die Sessel standen noch zufällig durcheinander
gerückt im fahlen Schein eines einzelnen Lichtes. Gespenstisch war ihre
unbelebte Leere, und unwillkürlich formte ich in den einen die zarte Gestalt
des sonderbaren Wesens hinein, das mich mit seinen Blicken so verwirrt
gemacht. Ihr Blick in der Tiefe meines Wesens war noch lebendig. Er rührte
sich, und ich spürte, wie er mich aus dem Dunkel anglänzte, eine
geheimnisvolle Ahnung witterte ihn noch irgendwo wach in diesen Wänden,
und seine Verheißung irrlichterte mir im Blut. Und so schwül war es noch
immer! Kaum daß ich die Augen schloß, fühlte ich purpurne Funken hinter
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik