Page - 62 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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stöhnte, ihre Glieder krampften sich, als wollten sie etwas Ungeheures
sprengen, einen Reif, der sie mit Schlaf umschloß, und plötzlich – wie ein
Blitz war es durch die gewitternde Welt – brach es in ihr entzwei. Mit
einemmal ward sie wieder schweres, lastendes Gewicht in meinen Armen,
ihre Lippen ließen mich, die Hände sanken, und wie ich sie zurücklehnte auf
das Bett, blieb sie liegen gleich einer Toten. Ich erschrak. Unwillkürlich
fühlte ich sie an und tastete ihre Arme und ihre Wangen. Sie waren ganz kalt,
erfroren, steinern. Nur an den Schläfen oben tickte leise in zitternden
Schlägen das Blut. Marmor, eine Statue, lag sie da, feucht die Wangen von
Tränen, den Atem leise spielend um die gespannten Nüstern.
Manchmalüberrann sie noch leise ein Zucken, eine verebbende Welle des
erregten Blutes, doch die Brust wogte immer leiser und leiser. Immer mehr
schien sie Bild zu werden. Immer menschlicher und kindlicher, immer heller,
entspannter wurden ihre Züge. Der Krampf war entflogen. Sie schlummerte.
Sie schlief.
Ich blieb sitzen am Bettrand, zitternd über sie gebeugt. Ein friedliches Kind
lag sie da, die Augen geschlossen und den Mund leise lächelnd, belebt von
innerem Traum. Ganz nahe beugte ich mich herab, daß ich jede Linie ihres
Antlitzes einzeln sah und den Hauch ihres Atems an der Wange fühlte, und
von je näher ich auf sie blickte, desto ferner ward sie mir und
geheimnisvoller. Denn wo war sie jetzt mit ihren Sinnen, die da steinern lag,
hergetrieben von der heißen Strömung einer schwülen Nacht, zu mir, dem
Fremden, und nun wie tot gespült an den Strand? Wer war es, die hier an
meinen Händen lag, wo kam sie her, wem gehörte sie zu? Ich wußte nichts
von ihr und fühlte nur immer, daß nichts mich ihr verband. Ich blickte sie an,
einsame Minuten, während nur die Uhr eilfertig von oben tickte, und suchte
in ihrem sprachlosen Antlitz zu lesen, und doch ward nichts von ihr vertraut.
Ich hatte Lust, sie aufzuwecken aus diesem fremden Schlaf hier in meiner
Nähe, in meinem Zimmer, hart an meinem Leben, und hatte doch gleichzeitig
Furcht vor dem Erwachen, vor dem ersten Blick ihrer wachen Sinne. So saß
ich da, stumm, eine Stunde vielleicht oder zwei über den Schlaf dieses
fremden Wesens gebeugt, und allmählich ward mirs, als sei es keine Frau
mehr, kein Mensch, der hier abenteuerlich sich mir genaht, sondern die Nacht
selbst, das Geheimnis der lechzenden, gequälten Natur, das sich mir aufgetan.
Mir war, als läge hier unter meinen Händen die ganze heiße Welt mit ihren
entschwülten Sinnen, als hätte sich die Erde aufgebäumt in ihrer Qual und sie
als Boten gesandt aus dieser seltsamen, phantastischen Nacht.
Etwas klirrte hinter mir. Ich fuhr auf wie ein Verbrecher. Nochmals klirrte
das Fenster, als rüttelte eine riesige Faust daran. Ich sprang auf. Vor dem
Fenster stand ein Fremdes: eine verwandelte Nacht, neu und gefährlich,
schwarzfunkelnd und voll wilder Regsamkeit. Ein Sausen war dort, ein
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik