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Phantastische Nacht
Die nachfolgenden Aufzeichnungen fanden sich als versiegeltes Paket im
Schreibtisch des Barons Friedrich Michael von R … , nachdem er im Herbst
1914 als österreichischer Reserveoberleutnant bei einem Dragonerregiment in
der Schlacht bei Rawaruska gefallen war. Da die Familie nach der
Titelüberschrift und bloß flüchtigem Einblick in diesen Blättern nur eine
literarische Arbeit ihres Verwandten vermutete, übergaben sie mir die
Aufzeichnungen zur Prüfung und stellten mir ihre Veröffentlichung anheim.
Ich persönlich halte diese Blätter nun durchaus nicht für eine erfundene
Erzählung, sondern für ein wirkliches, in allen Einzelheiten tatsächliches
Erlebnis des Gefallenen und veröffentliche unter Unterdrückung des Namens
seine seelische Selbstenthüllung ohne jede Änderung und Beifügung.
*
Heute morgens überkam mich plötzlich der Gedanke, ich sollte das
Erlebnis jener phantastischen Nacht für mich niederschreiben, um die ganze
Begebenheit in ihrer natürlichen Reihenfolge einmal geordnet zu überblicken.
Und seit dieser jähen Sekunde fühle ich einen unerklärlichen Zwang, mir im
geschriebenen Wort jenes Abenteuer darzustellen, obzwar ich bezweifle, auch
nur annähernd die Sonderbarkeit der Vorgänge schildern zu können. Mir fehlt
jede sogenannte künstlerische Begabung, ich habe keinerlei Übung in
literarischen Dingen, und abgesehen von einigen mehr scherzhaften
Produkten im Theresianum habe ich mich nie im Schriftstellerischen
versucht. Ich weiß zum Beispiel nicht einmal, ob es eine besonders erlernbare
Technik gibt, um die Aufeinanderfolge von äußern Dingen und ihre
gleichzeitige innere Spiegelung zu ordnen, frage mich auch, ob ich es vermag,
dem Sinn immer das rechte Wort, dem Wort den rechten Sinn zu geben und so
jene Balance zu gewinnen, die ich von je bei jedem rechten Erzähler im Lesen
unbewußt spürte. Aber ich schreibe diese Zeilen ja nur für mich, und sie sind
keineswegs bestimmt, etwas, was ich kaum mir selber zu erklären vermag,
andern verständlich zu machen. Sie sind nur ein Versuch, mit irgendeinem
Geschehnis, das mich ununterbrochen beschäftigt und in schmerzhaft
quellender Gärung bewegt, in einem gewissen Sinne endlich einmal fertig zu
werden, es festzulegen, vor mich hinzustellen und von allen Seiten zu
umfassen.
Ich habe von dieser Begebenheit keinem meiner Freunde erzählt, eben aus
jenem Gefühl, ich könnte ihnen das Wesentliche daran nicht verständlich
machen, und dann auch aus einer gewissen Scham, von einer so zufälligen
Angelegenheit dermaßen erschüttert und umgewühlt worden zu sein. Denn
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik