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Gespräch geworden. Ich hörte gespannt zu. Sie sprach mit leichtem
ungarischen Akzent, sehr rasch und beweglich, die Vokale breit
ausschwingend wie im Gesang. Es machte mir nun Spaß, dieser Rede nun die
Gestalt zuzudichten und dies Phantasiebild möglichst üppig auszugestalten.
Ich gab ihr dunkle Haare, dunkle Augen, einen breiten, sinnlich gewölbten
Mund mit ganz weißen starken Zähnen, eine ganz schmale kleine Nase, aber
mit steil aufspringenden zitternden Nüstern. Auf die linke Wange legte ich ihr
ein Schönheitspflästerchen, in die Hand gab ich ihr einen Reitstock, mit dem
sie sich beim Lachen leicht an den Schenkel schlug. Sie sprach weiter und
weiter. Und jedes ihrer Worte fügte meiner blitzschnell gebildeten
Phantasievorstellung ein neues Detail hinzu: eine schmale mädchenhafte
Brust, ein dunkelgrünes Kleid mit einer schief gesteckten Brillantspange,
einen hellen Hut mit einem weißen Reiher. Immer deutlicher ward das Bild,
und schon spürte ich diese fremde Frau, die unsichtbar hinter meinem Rücken
stand, wie auf einer belichteten Platte in meiner Pupille. Aber ich wollte mich
nicht umwenden, dieses Spiel der Phantasie noch weiter steigern, irgendein
leises Rieseln von Wollust mengte sich in die verwegene Träumerei, ich
schloß beide Augen, gewiß, daß, wenn ich die Lider auftäte und mich ihr
zuwendete, das innere Bild ganz mit dem äußeren sich decken würde.
In diesem Augenblick trat sie vor. Unwillkürlich tat ich die Augen auf –
und ärgerte mich. Ich hatte vollkommen daneben geraten, alles war anders, ja
in boshaftester Weise gegensätzlich zu meinem Phantasiebild. Sie trug kein
grünes, sondern ein weißes Kleid, war nicht schlank, sondern üppig und
breitgehüftet, nirgends aus der vollen Wange tupfte sich das erträumte
Schönheitspflästerchen, die Haare leuchteten rötlichblond statt schwarz unter
dem helmförmigen Hut. Keines meiner Merkmale stimmte zu ihrem Bilde,
aber diese Frau war schön, herausfordernd schön, obwohl ich mich, gekränkt
im törichten Ehrgeiz meiner psychologischen Eitelkeit, diese Schönheit
anzuerkennen wehrte. Fast feindlich sah ich zu ihr empor, aber auch der
Widerstand in mir spürte den starken sinnlichen Reiz, der von dieser Frau
ausging, das Begehrliche, Animalische, das in ihrer festen und gleichzeitig
weichen Fülle fordernd lockte. Jetzt lachte sie wieder laut, ihre festen weißen
Zähne wurden sichtbar, und ich mußte mir sagen, daß dieses heiße sinnliche
Lachen zu dem Üppigen ihres Wesens wohl im Einklang stand, alles an ihr
war so vehement und herausfordernd, der gewölbte Busen, das im Lachen
vorgestoßene Kinn, der scharfe Blick, die geschwungene Nase, die Hand, die
den Schirm fest gegen den Boden stemmt. Hier war das weibliche Element,
Urkraft, bewußte, penetrante Lockung, ein fleischgewordenes Wollustfanal.
Neben ihr stand ein eleganter, etwas fanierter Offizier und sprach eindringlich
auf sie ein. Sie hörte ihm zu, lächelte, lachte, widersprach, aber all das nur
nebenbei, denn gleichzeitig glitt ihr Blick, zitterten ihre Nüstern überall hin,
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik