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zu entschuldigen, sagte auf ungarisch wieder ein paar Worte zu dem Offizier,
die jener mit einem gefälligen Lächeln erwiderte, nahm aber dann zärtlich
und ein wenig unterwürfig ihren Arm. Ich spürte, daß sie sich seiner Intimität
vor uns schämte und genoß ihre Erniedrigung mit einem gemischten Gefühl
von Spott und Ekel. Aber schon hatte sie sich wieder gefaßt, und während sie
sich weich an seinen Arm drückte, glitt ein Blick ironisch zu mir hinüber, als
sagte er: »Siehst du, der hat mich, und nicht du.« Ich war wütend und
degoutiert zugleich. Eigentlich wollte ich ihr den Rücken kehren und
weitergehen, um ihr zu zeigen, daß die Gattin eines solchen ordinären
Dicklings mich nicht mehr interessiere. Aber der Reiz war doch zu stark. Ich
blieb.
Schrill gellte in dieser Sekunde das Signal des Starts, und mit einemmal
war die ganze plaudernde, trübe, stockende Masse wie umgeschüttelt, floß
wieder von allen Seiten in jähem Durcheinander nach vorn zur Barriere. Ich
hatte eine gewisse Gewaltsamkeit nötig, nicht mitgerissen zu werden, denn
ich wollte gerade im Tumult in ihrer Nähe bleiben, vielleicht bot sich da
Gelegenheit zu einem entscheidenden Blick, einem Griff, irgendeiner
spontanen Frechheit, die ich jetzt noch nicht wußte, und so stieß ich mich
zwischen den eilenden Leuten beharrlich zu ihr vor. In diesem Augenblick
drängte der dicke Gatte gerade herüber, offenbar um einen guten Platz an der
Tribüne zu ergattern, und so stießen wir beide, jeder von einem andern
Ungestüm geschleudert, mit so viel Heftigkeit gegeneinander, daß sein
lockerer Hut zu Boden flog und die Ticketts, die daran lose befestigt waren, in
weitem Bogen wegspritzten und wie rote, blaue, gelbe und weiße
Schmetterlinge auf den Boden staubten. Einen Augenblick starrte er mich an.
Mechanisch wollte ich mich entschuldigen, aber irgendein böser Wille
verschloß mir die Lippen, im Gegenteil: ich sah ihn kühl mit einer leisen,
frechen und beleidigenden Provokation an. Sein Blick flackerte eine Sekunde
lang unsicher auf von rot aussteigender, aber ängstlich sich drückender Wut
hochgeschnellt, brach aber feige zusammen vor dem meinen. Mit einer
unvergeßlichen, fast rührenden Ängstlichkeit sah er mir eine Sekunde in die
Augen, dann bog er sich weg, schien sich plötzlich seiner Ticketts zu
besinnen und bückte sich, um sie und den Hut vom Boden aufzulesen. Mit
unverhohlenem Zorn, rot im Gesicht vor Erregung, blitzte die Frau, die seinen
Arm gelassen hatte, mich an: ich sah mit einer Art Wollust, daß sie mich am
liebsten geschlagen hätte. Aber ich blieb ganz kühl und nonchalant stehen,
sah lächelnd ohne zu helfen zu, wie der überdicke Gemahl sich keuchend
bückte und vor meinen Füßen herumkroch, um seine Ticketts aufzulesen. Der
Kragen stand ihm beim Bücken weit ab wie die Federn einer aufgeplusterten
Henne, eine breite Speckfalte schob sich den roten Nacken hinauf,
asthmatisch keuchte er bei jeder Beugung. Unwillkürlich kam mir, wie ich ihn
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik