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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 85 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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feuchte Stirn fahren, und der Kragen drückte mich. Noch immer wollte der Start nicht beginnen. Endlich klingelte die Glocke, die Menschen stürmten hin, und in dieser Sekunde spürte ich entsetzt, wie auch mich dieses Klingeln gleich einem Wecker erschreckt von irgendeinem Schlaf aufriß. Ich sprang vom Sessel so heftig weg, daß er umfiel, und eilte – nein, ich lief – gierig nach vorne, die Ticketts fest zwischen die Finger gepreßt, mitten in die Menge hinein und wie von einer rasenden Angst verzehrt, zu spät zu kommen, irgend etwas ganz Wichtiges zu versäumen. Ich erreichte noch, indem ich Leute brutal beiseite stieß, die vordere Barriere, riß rücksichtslos einen Sessel, den eben eine Dame nehmen wollte, an mich. Meine ganze Taktlosigkeit und Tollwütigkeit erkannte ich sofort an ihrem erstaunten Blick – es war eine gute Bekannte, die Gräfin R., deren hochgezogen zornigen Brauen ich begegnete –, aber aus Scham und Trotz sah ich an ihr kalt vorbei, sprang auf den Sessel, um das Feld zu sehen. Irgendwo weit drüben stand im Grünen an den Start gepreßt ein kleines Rudel unruhiger Pferde, mühsam in der Linie gehalten von den kleinen Jockeis, die wie bunte Polichinelle aussahen. Sofort suchte ich den meinen darunter zu erkennen, aber mein Auge war ungeübt, und mir flimmerte es so heiß und seltsam vor dem Blick, daß ich unter den Farbenflecken den rotweißen nicht zu unterscheiden vermochte. In diesem Augenblick klang die Glocke zum zweiten Male, und wie sieben bunte Pfeile von einem Bogen flitzten die Pferde in den grünen Gang hinein. Es mußte wunderbar sein, dies ruhig und nur ästhetisch zu betrachten, wie die schmalen Tiere galoppierend ausholten und, kaum den Boden anstreifend, über den Rasen hinfederten; aber ich spürte von all dem nichts, ich machte nur verzweifelte Versuche, mein Pferd, meinen Jockei zu erkennen, und fluchte mir selbst, keinen Feldstecher mitgenommen zu haben. So sehr ich mich bog und streckte, ich sah nichts als vier, fünf bunte Insekten, in einen fliegenden Knäuel verwischt; nur dieForm sah ich allmählich jetzt sich verändern, wie das leichte Rudel sich jetzt an der Biegung keilförmig verlängerte, eine Spitze vortrieb, indes rückwärts einige des Schwarms bereits abzubröckeln begannen. Das Rennen wurde scharf: drei oder vier der im Galopp ganz auseinandergestreckten Pferde klebten wie farbige Papierstreifen flach zusammen, bald schob sich das eine, bald das andere um einen Ruck vor. Und unwillkürlich streckte ich meinen ganzen Körper aus, als könnte ich durch diese nachahmende, federnde, leidenschaftlich gespannte Bewegung ihre Geschwindigkeit steigern und mitreißen. Rings um mich wuchs die Erregung. Einzelne Geübtere mußten schon an der Kurve die Farben erkannt haben, denn Namen fuhren jetzt wie grelle 85
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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