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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 86 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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Raketen aus dem trüben Tumult. Neben mir stand einer, die Hände frenetisch gereckt, und wie jetzt ein Pferdekopf vordrängte, schrie er fußstampfend mit einer widerlich gellen und triumphierenden Stimme: »Ravachol! Ravachol!« Ich sah, daß wirklich der Jockei dieses Pferdes blau schimmerte, und eine Wut überfiel mich, daß es nicht mein Pferd war, das siegte. Immer unerträglicher wurde mir das gelle Gebrüll »Ravachol! Ravachol!« von dem Widerling neben mir; ich tobte vor kalter Wut, am liebsten hätte ich ihm die Faust in das aufgerissene schwarze Loch seines schreienden Mundes geschlagen. Ich zitterte vor Zorn, ich fieberte, jeden Augenblick, fühlte ich, konnte ich etwas Sinnloses begehen. Aber da hing noch ein anderes Pferd knapp an dem ersten. Vielleicht war das Teddy, vielleicht, vielleicht – und diese Hoffnung befeuerte mich von neuem. Wirklich war mir, als schimmerte der Arm, der sich jetzt über den Sattel hob und etwas niedersausen ließ auf die Kruppe des Pferdes, rotfarben, er konnte es sein, er mußte es sein, er mußte, er mußte! Aber warum trieb er ihn nicht vor, der Schurke? Noch einmal die Peitsche! Noch einmal! Jetzt, jetzt war er ihm ganz nahe! Jetzt, nur eine Spanne noch. Warum Ravachol? Ravachol? Nein, nicht Ravachol! Nicht Ravachol! Teddy! Teddy! Vorwärts Teddy! Teddy! Plötzlich riß ich mich gewaltsam zurück. Was – was war das? Wer schrie da so? Wer tobte da »Teddy! Teddy!«? Ich selbst schrie ja das. Und mitten in der Leidenschaft erschrak ich vor mir. Ich wollte mich halten, mich beherrschen, inmitten meines Fiebers quälte mich eine plötzliche Scham. Aber ich konnte die Blicke nicht wegreißen, denn dort klebten die beiden Pferde knapp aneinander, und es mußte wirklich Teddy sein, der an Navachol, dem verfluchten, aus brennender Inbrunst von mir gehaßten Ravachol hing, denn rings um mich gellten jetzt andere lauter und vielstimmiger in grellem Diskant: »Teddy! Teddy!«, und der Schrei riß mich, den für eine schwache Sekunde Aufgetauchten, wieder in die Leidenschaft. Er sollte, er mußte gewinnen, und wirklich, jetzt, jetzt schob sich hinter dem fliegenden Pferde des andern ein Kopf vor, eine Spanne nur, und jetzt schon zwei, jetzt, jetzt sah man schon den Hals – in diesem Augenblick schnarrte grell die Glocke, und ein einziger Schrei des Jubels, der Verzweiflung, des Zornes explodierte. Für eine Sekunde füllte der ersehnte Name den blauen Himmel ganz bis zur Wölbung. Dann stürzte er ein, und irgendwo rauschte Musik. Heiß, ganz feucht, klopfenden Herzens stieg ich vom Sessel herab. Ich mußte mich für einen Augenblick niedersetzen, so wirr war ich vor begeisterter Erregung. Eine Ekstase, wie ich sie nie gekannt, durchflutete mich, eine sinnlose Freude, daß der Zufall so sklavisch meiner Herausforderung gehorcht; vergebens versuchte ich mir vorzutäuschen, es sei wider meinen Willen gewesen, daß dieses Pferd jetzt gewonnen habe, und ich hätte gewünscht, das Geld verloren zu sehen. Aber ich glaubte es mir selbst 86
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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