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Kind wollte eine Freude von mir: es mußte, so fühlte ich, etwas furchtbar
Fremdes an mir sein, daß ich nirgends mich einmengen konnte, sondern
abgelöst in der dicken Masse schwamm wie ein Tropfen Öl auf dem bewegten
Wasser.
Aber ich ließ nicht nach: ich konnte nicht länger allein bleiben. Die Füße
brannten mir in den bestaubten Lackschuhen, die Kehle war verrostet vom
aufgewühlten Qualm. Ich sah mich um: rechts und links zwischen den
strömenden Menschengassen standen kleine Inseln von Grün,
Gastwirtschaften mit roten Tischtüchern und nackten Holzbänken, auf denen
die kleinen Bürger saßen mit ihrem Glas Bier und der sonntäglichen Virginia.
Der Anblick lockte mich: hier saßen Fremde beisammen, verknüpften sich im
Gespräch, hier war ein wenig Ruhe im wüsten Fieber. Ich trat ein, musterte
die Tische, bis ich einen fand, wo eine Bürgerfamilie, ein dicker,
vierschrötiger Handwerker mit seiner Frau, zwei heitern Mädchen und einem
kleinen Jungen saß. Sie wiegten die Köpfe im Takt, scherzten einander zu,
und ihre zufriedenen, leichtlebigen Blicke taten mir wohl. Ich grüßte höflich,
rührte an einen Sessel und fragte, ob ich Platz nehmen dürfe. Sofort stockte
ihr Lachen, einen Augenblick schwiegen sie (als wartete jeder, daß der andere
seine Zustimmung gebe), dann sagte die Frau, gleichsam betroffen: »Bitte!
Bitte!« Ich setzte mich hin und hatte gleich das Gefühl, daß ich mit meinem
Hinsetzen ihre ungenierte Laune zerdrückte, denn sofort lag um den Tisch
herum ein ungemütliches Schweigen. Ohne daß ich es wagte, die Augen von
dem rotkarierten Tischtuch, auf dem Salz und Pfeffer schmierig verstreut zu
sehen war, zu heben, spürte ich, daß sie mich alle befremdet beobachteten,
und sofort fiel mir – zu spät! – ein, daß ich zu elegant war für dieses
Dienstbotengasthaus mit meinem Derbydreß, dem Pariser Zylinder und der
Perle in meiner taubengrauen Krawatte, daß meine Eleganz, das Parfüm von
Luxus auch hier sofort eine Luftschicht von Feindlichkeit und Verwirrung um
mich legte. Und dieses Schweigen der fünf Leute drosselte mich immer tiefer
nieder auf den Tisch, dessen rote Karrees ich mit einer verbissenen
Verzweiflung immer wieder abzählte, festgenagelt durch die Scham, plötzlich
wieder aufzustehn, und doch wieder zu feige, den gepeinigten Blick
aufzuheben. Es war eine Erlösung, als endlich der Kellner kam und das
schwere Bierglas vor mich hinstellte. Da konnte ich endlich eine Hand regen
und beim Trinken scheu über den Rand schielen: wirklich, alle fünf
beobachteten mich, zwar ohne Haß, aber doch mit einer wortlosen
Befremdung. Sie erkannten den Eindringling in ihre dumpfe Welt, sie fühlten
mit dem naiven Instinkt ihrer Klasse, daß ich etwas hier wollte, hier suchte,
was nicht zu meiner Welt gehörte, daß nicht Liebe, nicht Neigung, nicht die
einfältige Freude am Walzer, am Bier, am geruhsamen Sonntagsitzen mich
hertrieb, sondern irgendein Gelüst, das sie nicht verstanden und dem sie
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik