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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 97 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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verlotterte Burschen mit lungerndem und doch suchendem Gang sich aus den Seitenalleen vorschieben: es war in der einen Stunde, in der ich festgenagelt vor dem fremden Tische gesessen, diese seltsame Welt mehr ins Gemeine hinabgeglitten. Aber gerade jene phosphoreszierende Atmosphäre von Frechheit und Gefährlichkeit gefiel mir irgendwie besser als die bürgerlichsonntägliche von vordem. Der in mir aufgereizte Instinkt witterte hier ähnliche Gespanntheit der Begier; in dem vortreibenden Schlendern dieser fragwürdigen Gestalten, dieser Ausgestoßenen der Gesellschaft, empfand ich mich irgendwie gespiegelt: auch sie wilderten doch mit einer unruhigen Erwartung hier nach einem flackernden Abenteuer, einer raschen Erregung, und selbst sie, diese zerlumpten Burschen, beneidete ich um die offene, freie Art ihres Streifens; denn ich stand an die Säule eines Karussells atmend gepreßt, ungeduldig, den Druck des Schweigens, die Qual meiner Einsamkeit aus mir zu stoßen und doch unfähig einer Bewegung, eines Anrufs, eines Worts. Ich stand nur und starrte hinaus auf den Platz, der vom Reflex der kreisenden Lichter zuckend erhellt war, stand und starrte von meiner Lichtinsel ins Dunkel hinein, töricht erwartungsvoll jeden Menschen anblickend, der vom grellen Schein angezogen für einen Augenblick sich herwandte. Aber jedes Auge glitt kalt an mir ab. Niemand wollte mich, niemand erlöste mich. Ich weiß, es wäre wahnwitzig, jemandem schildern oder gar erklären zu wollen, daß ich, ein kultivierter eleganter Mann der Gesellschaft, reich, unabhängig, mit den Besten einer Millionenstadt befreundet, eine ganze Stunde in jener Nacht am Pfosten eines verstimmt quiekenden, rastlos sich schwingenden Praterkarussells stand, zwanzig, vierzig, hundertmal dieselbe stolpernde Polka, denselben schleifenden Walzer mit denselben idiotischen Pferdeköpfen aus bemaltem Holz an mir vorüberkreisen ließ und aus verbissenem Trotz, aus einem magischen Gefühl, das Schicksal in meinen Willen zu zwingen, nicht mich von der Stelle rührte. Ich weiß, daß ich sinnlos handelte ln jener Stunde, aber in dieser sinnlosen Beharrung war eine Spannung des Gefühls, eine so stählerne Ankrampfung aller Muskeln, wie sie Menschen sonst vielleicht nur bei einem Absturz fühlen, knapp vor dem Tod, mein ganzes, leer vorbeigelaufenes Leben war plötzlich zurückgeflutet und staute sich bis hinauf zur Kehle. Und so sehr ich gequält war von meinem sinnlosen Wahn, zu bleiben, zu verharren, bis irgendein Wort, ein Blick eines Menschen mich erlöse, so sehr genoß ich diese Qual. Ich büßte etwas in diesem Stehen an dem Pfahl, nicht jenen Diebstahl so sehr, als das Dumpfe, das Laue, das Leere meines früheren Lebens: und ich hatte mir geschworen, nicht früher zu gehen, bis mir ein Zeichen gegeben war, das Schicksal mich freigegeben. Und je mehr jene Stunde fortschritt, um so mehr drängte die Nacht sich 97
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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