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die schwarz wie eine Bergwerksschlucht war: »Gehn wir dort hinüber. Hinter
dem Zirkus ist es ganz dunkel.«
Ich konnte nicht antworten. Das entsetzlich Gemeine dieser Begegnung
betäubte mich. Am liebsten hätte ich mich irgendwie losgerissen, mit einem
Stück Geld, mit einer Ausrede freigekauft, aber mein Wille hatte keine Macht
mehr über mich. Wie auf einer Rodel war mir, wenn man an einer Kurve
schleudernd, mit rasender Geschwindigkeit einen steilen Schneehang
hinabsaust und das Gefühl der Todesangst sich irgendwie wollüstig mit dem
Rausch der Geschwindigkeit mengt und man, statt zu bremsen, sich mit einer
taumelnden und doch bewußten Schwäche willenlos an den Sturz hingibt. Ich
konnte nicht mehr zurück und wollte vielleicht gar nicht mehr, und jetzt, wie
sie vertraulich sich an mich drückte, faßte ich unwillkürlich ihren Arm. Es
war ein ganz magerer Arm, nicht der Arm einer Frau, sondern wie der eines
zurückgebliebenen skrofulösen Kindes, und kaum daß ich ihn durch das
dünne Mäntelchen fühlte, überkam mich mitten in dem gespannten
Empfinden ein ganz weiches, flutendes Mitleid mit diesem erbärmlichen,
zertretenen Stück Leben, das diese Nacht gegen mich gespült. Und
unwillkürlich liebkosten meine Finger diese schwachen, kränklichen Gelenke
so rein, so ehrfürchtig, wie ich noch nie eine Frau berührt. Wir überquerten
eine matt erleuchtete Straße und traten in ein kleines Gehölz, wo wuchtige
Baumkronen ein dumpfes, übelriechendes Dunkel fest zusammenhielten. In
diesem Augenblick merkte ich, obwohl man kaum mehr einen Umriß
bemerken konnte, daß sie ganz vorsichtig an meinem Arm sich umwandte
und einige Schritte später noch ein zweitesmal. Und seltsam: während ich
gleichsam in einer Betäubung in das schmutzige Abenteuer hinabglitt, waren
doch meine Sinne furchtbar wach und funkelnd. Mit einer Hellsichtigkeit, der
nichts entging, die jede Regung wissend bis in sich hineinriß, merkte ich, daß
rückwärts am Saum des überquerten Pfades schattenhaft uns etwas nachglitt,
und mir war es, als hörte ich einen schleichenden Schritt. Und plötzlich – wie
ein Blitz eine Landschaft prasselnd weiß überspringt – ahnte, wußte ich alles:
daß ich hier in eine Falle gelockt werden sollte, daß die Zuhälter dieser Hure
hinter uns lauerten und sie mich im Dunkel an eine verabredete Stelle zog, wo
ich ihre Beute werden sollte. Mit einer überirdischen Klarheit, wie sie nur die
zusammengepreßten Sekunden zwischen Tod und Leben haben, sah ich alles,
überlegte ich jede Möglichkeit. Noch war es Zeit zu entkommen, die
Hauptstraße mußte nahe sein, denn ich hörte die elektrische Tramway dort auf
den Schienen rattern, ein Schrei, ein pfiff konnte Leute herbeirufen: in scharf
umrissenen Bildern zuckten alle Möglichkeiten der Flucht, der Rettung in mir
auf.
Aber seltsam – diese ausschreckende Erkenntnis kühlte nicht, sondern
hitzte nur. Ich kann mir heute in einem wachen Augenblick, im klaren Licht
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik