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Nacht«, dann der andere, zuletzt die Hure, die ganz im Dunkel geblieben.
Ganz warm klang es, ganz herzlich wie ein wirklicher Wunsch. An ihren
Stimmen fühlte ich, sie hatten mich irgendwo tief im Dunkel ihres Wesens
lieb, sie würden diese sonderbare Sekunde nie vergessen. Im Zuchthaus oder
im Spital würde sie ihnen vielleicht wieder einmal einfallen: etwas von mir
lebte fort in ihnen, ich hatte ihnen etwas gegeben. Und dieses Gebens Lust
erfüllte mich wie noch nie ein Gefühl.
Ich ging allein durch die Nacht dem Ausgang des Praters zu. Alles
Gepreßte war von mir gefallen, ich fühlte, wie ich ausströmte in nie gekannter
Fülle, ich, der Verschollene, in die ganze unendliche Welt hinein. Alles
empfand ich, als lebte es nur für mich allein und mich wieder mit allem
strömend verbunden. Schwarz umstanden mich die Bäume, sie rauschten mir
zu, und ich liebte sie. Sterne glänzten von oben nieder, und ich atmete ihren
weißen Gruß. Stimmen kamen singend von irgendwoher, und mir war, sie
sangen für mich. Alles gehörte mir mit einem Male, seit ich die Rinde um
meine Brust zerstoßen, und Freude des Hingebens, des Verschwendens
schwellte mich allem zu. O wie leicht ist es, fühlte ich, Freude zu machen und
selbst froh zu werden aus der Freude: man braucht sich nur aufzutun, und
schon fließt von Mensch zu Menschen der lebendige Strom, stürzt vom
Hohen zum Niedern, schäumt von der Tiefe wieder ins Unendliche empor.
Am Ausgang des Praters neben einem Wagenstandplatz sah ich eine
Hökerin, müde, gebückt über ihren kleinen Kram. Bäckereien hatte sie,
überschimmelt von Staub, und ein paar Früchte, seit Morgen saß sie wohl so
da, gebückt über die paar Heller, und die Müdigkeit knickte sie ein. Warum
sollst du dich nicht auch freuen, dachte ich, wenn ich mich freue? Ich nahm
ein kleines Stück Zuckerbrot und legte ihr einen Schein hin. Sie wollte
eilfertig wechseln, aber schon ging ich weiter und sah nur, wie sie erschrak
vor Glück, wie die zerknitterte Gestalt sich plötzlich straffte und nur der im
Staunen erstarrte Mund mir tausend Wünsche nachsprudelte. Das Brot
zwischen den Fingern trat ich zu dem Pferde, das müde an der Deichsel hing,
aber nun wandte es sich her und schnaubte mir freundlich zu. Auch in seinem
dumpfen Blick war Dank, daß ich seine rosa Nüster streichelte und ihm das
Brot hinreichte. Und kaum daß ichs getan, begehrte ich nach mehr: noch mehr
Freude zu machen, noch mehr zu spüren, wie man mit ein paar Silberstücken,
mit ein paar farbigen Zetteln Angst auslöschen, Sorge töten, Heiterkeit
aufzünden konnte. Warum waren keine Bettler da? Warum keine Kinder, die
von den Ballons haben wollten, die dort ein mürrischer, weißhaariger Hinkfuß
in dicken Bündeln an vielen Fäden nach Hause stelzte, enttäuscht über das
schlechte Geschäft des langen heißen Tages. Ich ging auf ihn zu. »Geben Sie
mir die Ballons.« »Zehn Heller das Stück«, sagte er mißtrauisch, denn was
wollte dieser elegante Müßiggänger jetzt mitternachts mit den farbigen
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik