Page - 119 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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geworden. »Ach, irgendein Herr, der hier im Hause wohnt«, stammelte ich
dann ungeschickt heraus. »Aber warum bist Du denn so rot geworden, wie er
Dich angeschaut hat«, spottete die Freundin mit der ganzen Bosheit eines
neugierigen Kindes. Und eben weil ich fühlte, daß sie an mein Geheimnis
spottend rühre, fuhr mir das Blut noch heißer in die Wangen. Ich wurde grob
aus Verlegenheit. »Blöde Gans«, sagte ich wild: am liebsten hätte ich sie
erdrosselt. Aber sie lachte nur noch lauter und höhnischer, bis ich fühlte, daß
mir die Tränen in die Augen schossen vor ohnmächtigem Zorn. Ich ließ sie
stehen und lief hinauf.
Von dieser Sekunde an habe ich Dich geliebt. Ich weiß, Frauen haben Dir,
dem Verwöhnten, oft dieses Wort gesagt. Aber glaube mir, niemand hat Dich
so sklavisch, so hündisch, so hingebungsvoll geliebt als dieses Wesen, das ich
war und das ich für Dich immer geblieben bin, denn nichts auf Erden gleicht
der unbemerkten Liebe eines Kindes aus dem Dunkel, weil sie so
hoffnungslos, so dienend, so unterwürfig, so lauernd und leidenschaftlich ist,
wie niemals die begehrende und unbewußt doch fordernde Liebe einer
erwachsenen Frau. Nur einsame Kinder können ganz ihre Leidenschaft
zusammenhalten: die anderen zerschwätzen ihr Gefühl in Geselligkeit,
schleifen es ab in Vertraulichkeiten, sie haben von Liebe viel gehört und
gelesen und wissen, daß sie ein gemeinsames Schicksal ist. Sie spielen damit,
wie mit einem Spielzeug, sie prahlen damit, wie Knaben mit ihrer ersten
Zigarette. Aber ich, ich hatte ja niemand, um mich anzuvertrauen, war von
keinem belehrt und gewarnt, war unerfahren und ahnungslos: ich stürzte
hinein in mein Schicksal wie in einen Abgrund. Alles, was in mir wuchs und
aufbrach, wußte nur Dich, den Traum von Dir, als Vertrauten: mein Vater war
längst gestorben, die Mutter mir fremd in ihrer ewig unheiteren Bedrücktheit
und Pensionistenängstlichkeit, die halbverdorbenen Schulmädchen stießen
mich ab, weil sie so leichtfertig mit dem spielten, was mir letzte Leidenschaft
war – so warf ich alles, was sich sonst zersplittert und verteilt, warf ich mein
ganzes zusammengepreßtes und immer wieder ungeduldig aufquellendes
Wesen Dir entgegen. Du warst mir – wie soll ich es Dir sagen? jeder einzelne
Vergleich ist zu gering, – Du warst eben alles, mein ganzes Leben. Alles
existierte nur insofern, als es Bezug hatte auf Dich, alles in meiner Existenz
hatte nur Sinn, wenn es mit Dir verbunden war. Du verwandeltest mein
ganzes Leben. Bisher gleichgültig und mittelmäßig in der Schule, wurde ich
plötzlich die Erste, ich las tausend Bücher bis tief in die Nacht, weil ich
wußte, daß Du die Bücher liebtest, ich begann, zum Erstaunen meiner Mutter,
plötzlich mit fast störrischer Beharrlichkeit Klavier zu üben, weil ich glaubte,
Du liebtest Musik. Ich putzte und nähte an meinen Kleidern, nur um gefällig
und proper vor Dir auszusehen, und daß ich an meiner alten Schulschürze (sie
war ein zugeschnittenes Hauskleid meiner Mutter) links einen eingesetzten
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik