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wissenden Liebe und Deiner sorglosen, verschwenderischen, fast unbewußten
Zärtlichkeit, unser Kind, unser Sohn, unser einziges Kind. Aber Du fragst nun
– vielleicht erschreckt, vielleicht bloß erstaunt –, Du fragst nun, mein
Geliebter, warum ich dies Kind Dir alle diese langen Jahre verschwiegen und
erst heute von ihm spreche, da es hier im Dunkel schlafend, für immer
schlafend, liegt, schon bereit fortzugehen und nie mehr wiederzukehren, nie
mehr! Doch wie hätte ich es Dir sagen können? Nie hättest Du mir, der
Fremden, der allzu Bereitwilligen dreier Nächte, die sich ohne Widerstand, ja
begehrend, Dir aufgetan, nie hättest Du ihr, der Namenlosen einer flüchtigen
Begegnung, geglaubt, daß sie Dir die Treue hielt. Dir, dem Untreuen, – nie
ohne Mißtrauen dies Kind als das Deine erkannt! Nie hättest Du, selbst wenn
mein Wort Dir Wahrscheinlichkeit geboten, den heimlichen Verdacht abtun
können, ich versuchte, Dir, dem Begüterten, das Kind fremder Stunde
unterzuschieben. Du hättest mich beargwöhnt, ein Schatten wäre geblieben,
ein fliegender, scheuer Schatten von Mißtrauen zwischen Dir und mir. Das
wollte ich nicht. Und dann, ich kenne Dich; ich kenne Dich so gut, wie Du
kaum selber Dich kennst, ich weiß, es wäre Dir, der Du das Sorglose, das
Leichte, das Spielende liebst in der Liebe, peinlich gewesen, plötzlich Vater,
plötzlich verantwortlich zu sein für ein Schicksal. Du hättest Dich, Du, der Du
nur in Freiheit atmen kannst, Dich irgendwie verbunden gefühlt mit mir. Du
hättest mich – ja, ich weiß es, daß Du es getan hättest, wider Deinen eigenen
wachen Willen –, Du hättest mich gehaßt für dieses Verbundensein. Vielleicht
nur stundenlang, vielleicht nur flüchtige Minuten lang wäre ich Dir lästig
gewesen, wäre ich Dir verhaßt worden – ich aber wollte in meinem Stolze, Du
solltest an mich ein Leben lang ohne Sorge denken. Lieber wollte ich alles auf
mich nehmen, als Dir eine Last werden, und einzig die sein unter allen Deinen
Frauen, an die Du immer mit Liebe, mit Dankbarkeit denkst. Aber freilich,
Du hast nie an mich gedacht, Du hast mich vergessen.
Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an.
Verzeih mirs, wenn mir manchmal ein Tropfen Bitternis in die Feder fließt,
verzeih mirs – mein Kind, unser Kind liegt ja da tot unter den flackernden
Kerzen; ich habe zu Gott die Fäuste geballt und ihn Mörder genannt, meine
Sinne sind trüb und verwirrt. Verzeih mir die Klage, verzeihe sie mir! Ich
weiß ja, daß Du gut bist und hilfreich im tiefsten Herzen, Du hilfst jedem,
hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. Aber Deine Güte ist so
sonderbar, sie ist eine, die offen liegt für jeden, daß er nehmen kann soviel
seine Hände fassen, sie ist groß, unendlich groß Deine Güte, aber sie ist –
verzeih mir – sie ist träge. Sie will gemahnt, will genommen sein. Du hilfst,
wenn man Dich ruft, Dich bittet, hilfst aus Scham, aus Schwäche und nicht
aus Freudigkeit. Du hast – laß es Dir offen sagen – den Menschen in Notdurft
und Qual nicht lieber, als den Bruder im Glück. Und Menschen, die so sind
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik