Page - 134 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
Image of the Page - 134 -
Text of the Page - 134 -
dies Kind, das mich brauchte, das ich nähren mußte, das ich küssen konnte
und umfangen. Ich schien gerettet vor meiner Unruhe nach Dir, meinem
Verhängnis, gerettet durch dies Dein anderes Du, das aber wahrhaft mein war
– selten nur mehr, ganz selten drängte mein Gefühl sich demütig heran an
Dein Haus. Nur eines tat ich:zu Deinem Geburtstag sandte ich Dir immer ein
BĂĽndel weiĂźe Rosen, genau dieselben, wie Du sie mir damals geschenkt nach
unserer ersten Liebesnacht. Hast Du je in diesen zehn, in diesen elf Jahren
Dich gefragt, wer sie sandte? Hast Du Dich vielleicht an die erinnert, der Du
einst solche Rosen geschenkt? Ich weiĂź es nicht und werde Deine Antwort
nicht wissen. Nur aus dem Dunkel sie Dir hinzureichen, einmal im Jahre die
Erinnerung aufblühen zu lassen an jene Stunde – das war mir genug.
Du hast es nie gekannt, unser armes Kind – heute klage ich mich an, daß
ich es Dir verbarg, denn Du hättest es geliebt. Nie hast Du ihn gekannt, den
armen Knaben, nie ihn lächeln gesehen, wenn er leise die Lider aufhob und
dann mit seinen dunklen klugen Augen – Deinen Augen! – ein helles, frohes
Licht warf ĂĽber mich, ĂĽber die ganze Welt. Ach, er war so heiter, so lieb: die
ganze Leichtigkeit Deines Wesens war in ihm kindlich wiederholt, Deine
rasche, bewegte Phantasie in ihm erneuert: stundenlang konnte er verliebt mit
Dingen spielen, so wie Du mit dem Leben spielst, und dann wieder ernst mit
hochgezogenen Brauen vor seinen BĂĽchern sitzen. Er wurde immer mehr Du;
schon begann sich auch in ihm jene Zwiespältigkeit von Ernst und Spiel, die
Dir eigen ist, sichtbar zu entfalten, und je ähnlicher er Dir ward, desto mehr
liebte ich ihn. Er hat gut gelernt, er plauderte Französisch wie eine kleine
Elster, seine Hefte waren die saubersten der Klasse, und wie hĂĽbsch war er
dabei, wie elegant in seinem schwarzen Samtkleid oder dem weiĂźen
Matrosenjäckchen. Immer war er der Eleganteste von allen, wohin er auch
kam, in Grado am Strande, wenn ich mit ihm ging, blieben die Frauen stehen
und streichelten sein langes blondes Haar, auf dem Semmering, wenn er im
Schlitten fuhr, wandten sich bewundernd die Leute nach ihm um. Er war so
hĂĽbsch, so zart, so zutunlich: als er im letzten Jahre ins Internat des
Theresianums kam, trug er seine Uniform und den kleinen Degen wie ein
Page aus dem achtzehnten Jahrhundert – nun hat er nichts als sein Hemdchen
an, der Arme, der dort liegt mit blassen Lippen und eingefalteten Händen.
Aber Du fragst mich vielleicht, wie ich das Kind so im Luxus erziehen
konnte, wie ich es vermochte, ihm dies helle, dies heitere Leben der oberen
Welt zu vergönnen. Liebster, ich spreche aus dem Dunkel zu Dir; ich habe
keine Scham, ich will es Dir sagen, aber erschrick nicht, Geliebter – ich habe
mich verkauft. Ich wurde nicht gerade das, was man ein Mädchen von der
StraĂźe nennt, eine Dirne, aber ich habe mich verkauft. Ich hatte reiche
Freunde, reiche Geliebte: zuerst suchte ich sie, dann suchten sie mich, denn
ich war – hast Du es je bemerkt? – sehr schön. Jeder, dem ich mich gab,
134
back to the
book Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik