Page - 135 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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gewann mich lieb, alle haben mir gedankt, alle an mir gehangen, alle mich
geliebt – nur Du nicht, nur Du nicht, mein Geliebter!
Verachtest Du mich nun, weil ich Dir es verriet, daß ich mich verkauft
habe? Nein, ich weiß, Du verachtest mich nicht, ich weiß, Du verstehst alles
und wirst auch verstehen, daß ich es nur für Dich getan, für Dein anderes Ich,
für Dein Kind. Ich hatte einmal in jenerStube der Gebärklinik an das
Entsetzliche der Armut gerührt, ich wußte, daß in dieser Welt der Arme
immer der Getretene, der Erniedrigte, das Opfer ist, und ich wollte nicht, um
keinen Preis, daß Dein Kind, Dein helles, schönes Kind da tief unten
aufwachsen sollte im Abhub, im Dumpfen, im Gemeinen der Gasse, in der
verpesteten Luft eines Hinterhausraumes. Sein zarter Mund sollte nicht die
Sprache des Rinnsteins kennen, sein weißer Leib nicht die dumpfige,
verkrümmte Wäsche der Armut – Dein Kind sollte alles haben, allen
Reichtum, alle Leichtigkeit der Erde, es sollte wieder aufsteigen zu Dir, in
Deine Sphäre des Lebens.
Darum, nur darum, mein Geliebter, habe ich mich verkauft. Es war kein
Opfer für mich, denn was man gemeinhin Ehre und Schande nennt, das war
mir wesenlos: Du liebtest mich nicht, Du, der Einzige, dem mein Leib
gehörte, so fühlte ich es als gleichgültig, was sonst mit meinem Körper
geschah. Die Liebkosungen der Männer, selbst ihre innerste Leidenschaft, sie
rührten mich im Tiefsten nicht an, obzwar ich manche von ihnen sehr achten
mußte und mein Mitleid mit ihrer unerwiderten Liebe in Erinnerung eigenen
Schicksals mich oft erschütterte. Alle waren sie gut zu mir, die ich kannte,
alle haben sie mich verwöhnt, alle achteten sie mich. Da war vor allem einer,
ein älterer, verwitweter Reichsgraf, derselbe, der sich die Füße wundstand an
den Türen, um die Aufnahme des vaterlosen Kindes, Deines Kindes, im
Theresianum durchzudrücken – der liebte mich wie eine Tochter. Dreimal,
viermal machte er mir den Antrag, mich zu heiraten – ich könnte heute Gräfin
sein, Herrin auf einem zauberischen Schloß in Tirol, könnte sorglos sein, denn
das Kind hätte einen zärtlichen Vater gehabt, der es vergötterte, und ich einen
stillen, vornehmen, gütigen Mann an meiner Seite – ich habe es nicht getan,
so sehr, sooft er auch drängte, so sehr ich ihm wehe tat mit meiner Weigerung.
Vielleicht war es eine Torheit, denn sonst lebte ich jetzt irgendwo still und
geborgen, und dies Kind, das geliebte, mit mir, aber – warum soll ich Dir es
nicht gestehen – ich wollte mich nicht binden, ich wollte Dir frei sein in jeder
Stunde. Innen im Tiefsten, im Unbewußten meines Wesens lebte noch immer
der alte Kindertraum, Du würdest vielleicht noch einmal mich zu Dir rufen,
sei es nur für eine Stunde lang. Und für diese eine mögliche Stunde habe ich
alles weggestoßen, nur um Dir frei zu sein für Deinen ersten Ruf. Was war
mein ganzes Leben seit dem Erwachen aus der Kindheit denn anders, als ein
Warten, ein Warten auf Deinen Willen!
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik