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Konzert, trafen dort heitere Gesellschaft, soupierten in einem
Ringstraßenrestaurant, und dort, mitten im Lachen und Schwätzen, machte
ich den Vorschlag, noch in ein Tanzlokal, in den Tabarin, zu gehen. Mir waren
diese Art Lokale mit ihrer systematischen und alkoholischen Heiterkeit wie
jede »Drahrerei« sonst immer widerlich, und ich wehrte mich sonst immer
gegen derlei Vorschläge, diesmal aber – es war wie eine unergründliche
magische Macht in mir, die mich plötzlich unbewußt den Vorschlag mitten in
die freudig zustimmende Erregung der andern werfen ließ – hatte ich plötzlich
ein unerklärliches Verlangen, als ob dort irgend etwas Besonderes mich
erwarte. Gewohnt, mir gefällig zu sein, standen alle rasch auf, wir gingen
hinüber, tranken Champagner, und in mich kam mit einemmal eine ganz
rasende, ja fast schmerzhafte Lustigkeit, wie ich sie nie gekannt. Ich trank und
trank, sang die kitschigen Lieder mit und hatte fast den Zwang, zu tanzen oder
zu jubeln. Aber plötzlich – mir war, als hätte etwas Kaltes oder etwas
Glühendheißes sich mir jäh aufs Herz gelegt – riß es mich auf: am
Nachbartisch saßest Du mit einigen Freunden und sahst mich an mit einem
bewundernden und begehrenden Blick, mit jenem Blicke, der mir immer den
ganzen Leib von innen aufwühlte. Zum erstenmal seit zehn Jahren sahst Du
mich wieder an mit der ganzen unbewußt-leidenschaftlichen Macht Deines
Wesens. Ich zitterte. Fast wäre mir das erhobene Glas aus den Händen
gefallen. Glücklicherweise merkten die Tischgenossen nicht meine
Verwirrung: sie verlor sich in dem Dröhnen von Gelächter und Musik.
Immer brennender wurde Dein Blick und tauchte mich ganz in Feuer. Ich
wußte nicht: hattest Du mich endlich, endlich erkannt, oder begehrtest Du
mich neu, als eine andere, als eine Fremde? Das Blut flog mir in die Wangen,
zerstreut antwortete ich den Tischgenossen: Du mußtest es merken, wie
verwirrt ich war von Deinem Blick. Unmerklich für die übrigen machtest Du
mit einer Bewegung des Kopfes ein Zeichen, ich möchte für einen
Augenblick hinauskommen in den Vorraum. Dann zahltest Du ostentativ,
nahmst Abschied von Deinen Kameraden und gingst hinaus, nicht ohne zuvor
noch einmal angedeutet zu haben, daß Du draußen auf mich warten würdest.
Ich zitterte wie im Frost, wie im Fieber, ich konnte nicht mehr Antwort geben,
nicht mehr mein aufgejagtes Blut beherrschen. Zufälligerweise begann gerade
in diesem Augenblick ein Negerpaar mit knatternden Absätzen und schrillen
Schreien einen absonderlichen neuen Tanz: alles starrte ihnen zu, und diese
Sekunde nützte ich. Ich stand auf, sagte meinem Freunde, daß ich gleich
zurückkäme, und ging Dir nach.
Draußen im Vorraum vor der Garderobe standest Du, mich erwartend: Dein
Blick ward hell, als ich kam. Lächelnd eiltest Du mir entgegen; ich sah sofort,
Du erkanntest mich nicht, erkanntest nicht das Kind von einst und nicht das
Mädchen, noch einmal griffest Du nach mir als einem Neuen, einem
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik