Page - 139 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Dich doch nicht erinnertest, die Du doch nicht erkanntest, selbst jetzt, da sie
Dir nahe war, Hand in Hand und Lippe an Lippe. Aber doch: es tat mir wohl,
daß Du die Blumen hegtest: so war doch ein Hauch meines Wesens, ein Atem
meiner Liebe um Dich.
Du nahmst mich in Deine Arme. Wieder blieb ich bei Dir eine ganze
herrliche Nacht. Aber auch im nackten Leibe erkanntest Du mich nicht. Selig
erlitt ich Deine wissenden Zärtlichkeiten und sah, daß Deine Leidenschaft
keinen Unterschied macht zwischen einer Geliebten und einer Käuflichen,
daß Du Dich ganz gibst an Dein Begehren mit der unbedachten
verschwenderischen Fülle Deines Wesens. Du warst so zärtlich und lind zu
mir, der vom Nachtlokal Geholten, so vornehm und so herzlich-achtungsvoll
und doch gleichzeitig so leidenschaftlich im Genießen der Frau; wieder fühlte
ich, taumelig vom alten Glück, diese einzige Zweiheit Deines Wesens, die
wissende, die geistige Leidenschaft in der sinnlichen, die schon das Kind Dir
hörig gemacht. Nie habe ich bei einem Manne in der Zärtlichkeit solche
Hingabe an den Augenblick gekannt, ein solches Ausbrechen und
Entgegenleuchten des tiefsten Wesens – freilich um dann hinzulöschen in eine
unendliche, fast unmenschliche Vergeßlichkeit. Aber auch ich vergaß mich
selbst: wer war ich nun im Dunkel neben Dir? War ichs, das brennende Kind
von einst, war ichs, die Mutter Deines Kindes, war ichs, die Fremde? Ach, es
war so vertraut, so erlebt alles, und alles wieder so rauschend neu in dieser
leidenschaftlichen Nacht. Und ich betete, sie möchte kein Ende nehmen.
Aber der Morgen kam, wir standen spät auf, Du ludest mich ein, noch mit
Dir zu frühstücken. Wir tranken zusammen den Tee, den eine unsichtbar
dienende Hand diskret in dem Speisezimmer bereitgestellt hatte, und
plauderten. Wieder sprachst Du mit der ganzen offenen, herzlichen
Vertraulichkeit Deines Wesens zu mir und wieder ohne alle indiskreten
Fragen, ohne alle Neugier nach dem Wesen, das ich war. Du fragtest nicht
nach meinem Namen, nicht nach meiner Wohnung: ich war Dir wiederum nur
das Abenteuer, das Namenlose, die heiße Stunde, die im Rauch des
Vergessens spurlos sich löst. Du erzähltest, daß Du jetzt weit weg reisen
wolltest, nach Nordafrika für zwei oder drei Monate; ich zitterte mitten in
meinem Glück, denn schon hämmerte es mir in den Ohren: vorbei, vorbei und
vergessen! Am liebsten wäre ich hin zu Deinen Knieen gestürzt und hätte
geschrieen: »Nimm mich mit, damit Du mich endlich erkennst, endlich,
endlich nach so vielen Jahren!« Aber ich war ja so scheu, so feige, so
sklavisch, so schwach vor Dir. Ich konnte nur sagen: »Wie schade.« Du sahst
mich lächelnd an: »Ist es Dir wirklich leid?«
Da faßte es mich wie eine plötzliche Wildheit. Ich stand auf, sah Dich an,
lange und fest. Dann sagte ich: »Der Mann, den ich liebte, ist auch immer
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik