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Schweigens, gleichsam als ob ich was zertrümmert hätte. Mählich erst fand
mein Blick sich in der Stube zurecht, die fast leer war, ein Schank und ein
Tisch, das ganze offenbar nur Vorgemach zu andern Zimmern rückwärts, die
mit halbaufgelehnten Türen, gedämpftem Lampenschein und bereiten Betten
ihre eigentliche Bestimmung rasch verrieten. Vorn am Tisch lehnte auf den
Ellbogen gestützt ein Mädchen, geschminkt und müd, rückwärts am Schank
die Wirtin, beleibt und schmutziggrau mit einem andern nicht unhübschen
Mädel. Mein Gruß fiel hart in den Raum, ganz spät kam ein gelangweiltes
Echo zurück. Mir wars unbehaglich, so ins Leere getreten zu sein; in ein so
gespanntes ödes Schweigen, und gern wäre ich sofort wieder gegangen, doch
fand meine Verlegenheit keinen Vorwand, und so setzte ich mich resigniert an
den vorderen Tisch. Das Mädel, jetzt sich seiner Pflicht besinnend, fragte
mich, was ich zu trinken wünschte, und an ihrem harten Französisch erkannte
ich sofort die Deutsche. Ich bestellte ein Bier, sie ging und kam wieder mit
jenem schlaffen Gang, der noch mehr Gleichgültigkeit verriet als das Seichte
ihrer Augen, die schlaff unter den Lidern glommen wie verlöschende Lichter.
Ganz mechanisch stellte sie nach dem Brauch jener Stuben neben das meine
ein zweites Glas für sich. Ihr Blick ging, wie sie mir zutrank, leer an mir
vorbei: so konnte ich sie betrachten. Ihr Gesicht war eigentlich noch schön
und ebenmäßig in den Zügen, aber wie durch eine innere Ermattung
maskenhaft und gemein geworden, alles fiel schlaff nieder, die Lider waren
schwer, locker das Haar; die Wangen, fleckig von schlechter Schminke und
verschwemmt, begannen schon nachzugeben und warfen sich mit breiter Falte
bis an den Mund. Auch das Kleid war ganz lässig umgehängt, ausgebrannt die
Stimme, rauh von Rauch und Bier. In allem spürte ich einen Menschen, der
müde ist und nur aus Gewohnheit, gleichsam fühllos weiterlebt. Mit
Befangenheit und Grauen warf ich eine Frage hin. Sie antwortete, ohne mich
anzusehen, gleichgültig und stumpf mit kaum bewegten Lippen.
Unwillkommen spürte ich mich. Rückwärts gähnte die Wirtin, das andere
Mädel saß in einer Ecke und sah her, gleichsam wartend, bis ich sie riefe.
Gern wäre ich gegangen, aber alles an mir war schwer, ich saß in dieser
satten, schwelenden Luft, dumpf torkelnd wie die Matrosen, gefesselt von
Neugier und Grauen; denn diese Gleichgültigkeit war irgendwie aufreizend.
Da plötzlich fuhr ich auf, erschreckt von einem grellen Gelächter neben
mir. Und gleichzeitig schwankte die Flamme: am Luftzug spürte ich, daß
jemand die Tür hinter meinem Rücken geöffnet haben mußte. »Kommst du
schon wieder?« höhnte grell und auf deutsch die Stimme neben mir. »Kriechst
du schon wieder ums Haus, du Knauser du? Na, komm nur herein, ich tu dir
nichts.«
Ich fuhr herum, zuerst ihr zu, die so grell diesen Gruß schrie, als bräche ihr
Feuer aus dem Leib, und dann zur Tür. Und noch ehe sie ganz aufgetan war,
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik