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im Auftaumeln mich traf, ängstlich verlegen und kriecherisch. Und mir graute
vor dem Weib neben mir, das plötzlich aus ihrer Schlaffheit aufgewacht war
und so voll Bosheit funkelte, daß ihre Hände zitterten. Ich warf Geld auf den
Tisch und wollte fort, aber sie nahm es nicht.
»Geniert er dich, dann werfe ich ihn hinaus, den Hund. Der muß parieren.
Nimm noch ein Glas mit mir. Komm!«
Sie drängte sich heran mit einer jähen, fanatischen Art von Zärtlichkeit,
von der ich sofort wußte, daß sie nur gespielt war, um jenen anderen zu
quälen. Bei jeder dieser Bewegungen sah sie rasch schief hinüber, und es war
mir widerwärtig zu sehen, wie bei jeder ihrer Gesten zu mir es in ihm zu
zucken begann, als spürte er Brandstahl an seinen Gliedern. Ohne auf sie zu
achten, starrte ich einzig ihn an und schauerte, wie etwas jetzt in ihm wuchs
von Wut, Zorn, Neid und Gier, und sich doch gleich niederduckte, wandte sie
nur den Kopf. Ganz nahe drängte sie sich nun zu mir, ich spürte ihren Körper,
der zitterte von der bösen Lust dieses Spiels, und mir graute vor ihrem grellen
Gesicht, das nach schlechtem Puder roch, vor dem Dunst ihres mürben
Fleisches. Sie von meinem Gesicht abzuwehren, griff ich nach einer Zigarre,
und während mein Blick noch den Tisch nach einem Streichholz absuchte,
herrschte sie ihn schon an: »Bring Feuer her!«
Ich erschrak mehr noch als er vor dieser gemeinen Zumutung, mich zu
bedienen, und mühte mich rasch, mir selbst eines zu finden. Aber schon von
ihrem Worte wie mit einer Peitsche aufgeknallt, kam er mit seinen schiefen
Schritten torkelnd herüber und legte rasch, als könnte er sich mit einer
Berührung des Tisches verbrennen, sein Feuerzeug auf den Tisch. Eine
Sekunde kreuzte ich seinen Blick: unendliche Scham lag darin und eine
knirschende Erbitterung. Und dieser geknechtete Blick traf den Mann, den
Bruder, in mir. Ich fühlte die Erniedrigung durch das Weib und schämte mich
mit ihm.
»Ich danke Ihnen sehr,” sagte ich auf deutsch – sie zuckte auf – »Sie hätten
sich nicht bemühen müssen.« Dann bot ich ihm die Hand. Ein Zögern, ein
langes, dann spürte ich feuchte, knochige Finger und plötzlich krampfartig
einen jähen Druck des Dankes. Eine Sekunde leuchteten seine Augen in die
meinen, dann duckten sie sich wieder unter die schlaffen Lider. Aus Trotz
wollte ich ihn bitten, bei uns Platz zu nehmen, und die einladende Geste
mußte wohl schon in meine Hand geglitten sein, denn sie herrschte ihn eilig
an: »Setz dich wieder hin und störe hier nicht.«
Da packte mich plötzlich der Ekel vor ihrer ätzenden Stimme und vor
dieser Quälerei. Was sollte mir diese verräucherte Spelunke, diese widrige
Dirne, dieser Schwachsinnige, dieser Qualm von Bier und Rauch und
schlechtem Parfüm? Mich dürstete nach Luft. Ich schob ihr das Geld hin,
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik