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stand auf und rückte energisch ab, als sie mir schmeichelnd näher kam. Es
ekelte mich, mitzuspielen bei dieser Erniedrigung eines Menschen, und
deutlich ließ ich durch die Entschlossenheit meiner Abwehr spüren, wie
wenig sie mich sinnlich verlocken konnte. Jetzt zuckte ihr Blut bös, eine Falte
kroch ihr gemein um den Mund, aber sie hütete sich doch, das Wort
auszusprechen, und wandte sich mit einem Ruck unverstellten Hasses gegen
ihn, der aber, des Ärgsten gewärtig, eilig und wie gejagt von ihrer Drohung in
die Tasche griff und mit zitternden Fingern eine Geldbörse herauszog. Er
hatte Angst, jetzt allein mit ihr zu bleiben, das war sichtlich, und in der Hast
konnte er die Knoten der Börse nicht gut lösen – eine Börse war es, gestrickt
und mit Glasperlen besetzt, wie die Bauern sie tragen und die kleinen Leute.
Mühelos war es zu merken, daß er ungewohnt war, Geld rasch auszugeben,
sehr im Gegensatz zu den Matrosen, die es mit einem Handschwung aus den
klimpernden Taschen hervorholen und auf den Tisch werfen; er mußte
offenbar gewohnt sein, sorglich zu zählen und die Münzen zwischen den
Fingern zu wägen. »Wie er zittert um seine lieben süßen Pfennige! Gehts zu
langsam? Wart!« höhnte sie und trat einen Schritt näher. Er schrak zurück,
und sie, als sie sein Erschrecken sah, sagte, die Schultern hochziehend und
mit einem unbeschreiblichen Ekel im Blick: »Ich nehm dir nichts, ich spei auf
dein Geld. Weiß ja, sie sind gezählt, deine guten Pfennigchen, darf keines
zuviel in die Welt. Aber erst« – und sie tippte ihm plötzlich gegen die Brust –
»die Papierchen, die du da eingenäht hast, daß sie dir keiner stiehlt!« Und
wirklich, wie ein Herzkranker im Krampf sich plötzlich an die Brust greift, so
faßte fahl und zitternd seine Hand an eine bestimmte Stelle des Rockes,
unwillkürlich tasteten seine Finger dort an das heimliche Nest und fielen dann
beruhigt zurück. »Geizhals!« spie sie aus. Aber da flog plötzlich eine Glut in
das Gesicht des Gemarterten, er warf die Geldbörse mit einem Ruck dem
andern Mädel zu, die erst ausschrie im Schreck, dann hell lachte, und stürmte
vorbei an ihr, zur Tür hinaus wie aus einem Brand.
Einen Augenblick stand sie noch aufgerichtet, hell funkelnd in ihrer bösen
Wut. Dann fielen die Lider wieder schlaff herab, Mattigkeit bog den Körper
aus der Spannung. Alt und müde schien sie in einer Minute zu werden. Etwas
Unsicheres und Verlorenes dämpfte den Blick, der mich jetzt traf. Wie eine
Trunkene, die aufwacht, dumpf mit dem Gefühl einer Schande stand sie da.
»Draußen wird er jammern um sein Geld, vielleicht zur Polizei laufen, wir
hätten ihn bestohlen. Und morgen ist er wieder da. Aber mich soll er doch
nicht haben. Alle, nur gerade er nicht!«
Sie trat zum Schank, warf Geldstücke hin und stürzte mit einem Schwung
ein Glas Branntwein hinunter. Das böse Licht glimmerte wieder in ihren
Augen, aber trüb wie unter Tränen von Wut und Scham. Ekel faßte mich vor
ihr und zerriß mein Mitleid! »Guten Abend«, sagte ich und ging. »Bon soir,«
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik