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antwortete die Wirtin. Sie sah sich nicht um und lachte bloß, grell und
höhnisch.
Die Gasse, sie war nur Nacht und Himmel, als ich hinaustrat, eine einzige
schwüle Dunkelheit mit verwelktem, unendlich fernem Glanz von Mond.
Gierig trank ich die laue und doch starke Luft, und das Gefühl des Grauens
löste sich in das große Erstaunen vor der Mannigfaltigkeit der Geschicke, und
ich spürte wieder – ein Gefühl, das mich selig machen kann bis zu Tränen –,
daß immer hinter jeder Fensterscheibe Schicksal wartet, jede Tür sich in
Erlebnis auftut, allgegenwärtig das Mannigfaltige dieser Welt ist und selbst
der schmutzigste Winkel noch so wimmelnd von schon gestaltetem Erleben
wie die Verwesung vom eifrigen Glanz der Käfer. Fern war das Widerliche
der Begegnung und das gespannte Gefühl wohltuend gelöst in eine süße
Müdigkeit, die sich sehnte, all die Gelebte in schöneren Traum zu
verwandeln. Unwillkürlich blickte ich suchend um mich, den Weg nach
Hause durch diese Wirrnis verwinkelter Gäßchen zu finden. Da schob sich –
unhörbar mußte er nahegetreten sein – ein Schatten an mich heran.
»Verzeihen Sie,« – ich erkannte sogleich die demütige Stimme – »aber ich
glaube, Sie finden sich hier nicht zurecht. Darf ich … darf ich Ihnen den Weg
weisen? Der Herr wohnt … ?’
Ich nannte mein Hotel.
»Ich begleite Sie … Wenn Sie erlauben«, fügte er sogleich demütig hinzu.
Das Grauen faßte mich wieder. Dieser schleichende, gespenstische Schritt
an meiner Seite, unhörbar fast und doch hart an mir, das Dunkel der
Matrosengasse und die Erinnerung des Erlebten wich allmählich einem
traumhaft wirren Gefühl ohne Wertung und Widerstand. Ich spürte die Demut
seiner Augen, ohne sie zu sehen, und merkte das Zucken seiner Lippen, ich
wußte, daß er mit mir reden wollte, tat aber nichts dafür und nichts dagegen
aus der Taumligkeit meines Empfindens, in dem die Neugier des Herzens mit
einer körperlichen Benommenheit sich wogend mengte. Er räusperte sich
mehrmals, ich merkte den erstickten Ansatz zum Wort, aber irgendeine
Grausamkeit, die von diesem Weib geheimnisvoll auf mich übergegangen
war, freute sich dieses Ringens der Scham und seelischen Not: ich half ihm
nicht, sondern ließ dieses Schweigen schwarz und schwer zwischen uns. Und
unsere Schritte klangen, der seine leise schlurfend und alt, der meine mit
Absicht stark und rauh, dieser schmutzigen Welt zu entrinnen, wirr
zusammen. Immer stärker spürte ich die Spannung zwischen uns: schrill, voll
inneren Schreis war dieses Schweigen und schon wie eine übermäßig
gespannte Saite, bis er es endlich – und wie entsetzlich zagend zuerst –
durchriß mit einem Wort.
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik