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»Sie haben … Sie haben … mein Herr … da drinnen eine merkwürdige
Szene gesehen … verzeihen Sie … verzeihen Sie, wenn ich noch einmal
davon rede … aber sie mußte Ihnen merkwürdig sein … und ich sehr
lächerlich … diese Frau … es ist nämlich … «
Er stockte wieder. Etwas würgte ihm dick die Kehle. Dann wurde seine
Stimme ganz klein, und er flüsterte hastig: »Diese Frau … es ist nämlich
meine Frau.« Ich mußte aufgefahren sein im Erstaunen, denn er sprach hastig
weiter, als wollte er sich entschuldigen: »Das heißt … es war meine Frau …
vor fünf, vor vier Jahren … in Geratzheim drüben in Hessen, wo ich zu Hause
bin … Ich will nicht, Herr, daß Sie schlecht von ihr denken … es ist vielleicht
meine Schuld, daß sie so ist. Sie war nicht immer so … Ich … ich habe sie
gequält … Ich habe sie genommen, obwohl sie sehr arm war, nicht einmal die
Leinwand hatte sie, nichts, gar nichts … und ich bin reich … das heißt,
vermögend … nicht reich … oder ich war es wenigstens damals … und,
wissen Sie, mein Herr … ich war vielleicht – sie hat recht – sparsam … aber
früher war ich es, mein Herr, vor dem Unglück, und ich verfluche es … aber
mein Vater war so und die Mutter, alle waren so … und ich habe hart
gearbeitet um jeden Pfennig … und sie war leicht, sie hatte gern schöne
Sachen … und war doch arm, und ich habe es ihr immer wieder
vorgehalten … Ich hätte es nicht tun sollen, ich weiß es jetzt, mein Herr, denn
sie ist stolz, sehr stolz … Sie dürfen nicht glauben, daß sie so ist, wie sie sich
gibt … das ist Lüge, und sie tut sich selber weh … nur … nur um mir wehe zu
tun, um mich zu quälen … und … weil … weil sie sich schämt … Vielleicht
ist sie auch schlecht geworden, aber ich … ich glaube es nicht … denn, mein
Herr, sie war sehr gut, sehr gut … «
Er wischte sich die Augen und blieb stehen in seiner übermächtigen
Erregung. Unwillkürlich blickte ich ihn an, und er schien mir mit einem Male
nicht mehr lächerlich, und selbst diese merkwürdige servile Anrede, »mein
Herr«, die in Deutschland nur niedern Ständen zu eigen ist, spürte ich nicht
mehr. Sein Antlitz war ganz von der inneren Bemühung zum Wort
durchbildet, und der Blick starrte, wie er schwer jetzt wieder vorwärts
taumelte, starr auf das Pflaster, als läse er dort im schwankenden Lichte
mühsam ab, was sich dem Krampf seiner Kehle so quälend entriß.
»Ja, mein Herr«, stieß er jetzt tiefatmend heraus, und mit einer ganz
anderen, dunklen Stimme, die irgendwie aus einer weicheren Welt seines
Innern kam: »Sie war sehr gut … auch zu mir, sie war sehr dankbar, daß ich
sie aus ihrem Elend erlöst hatte … und ich wußte es auch, daß sie dankbar
war … aber … ich … wollte es hören … immer wieder … immer wieder …
es tat mir gut, diesen Dank zu hören … mein Herr, es war so, so unendlich
gut, zu spüren, zu spüren, daß man besser ist … wenn … wenn man doch
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik