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sprach von Hause … und wie wir alles nun wieder besorgen wollten … Da …
« Seine Stimme wurde plötzlich rauh, und er machte mit der Hand eine Geste,
als ob er jemanden zerbrechen wollte. »Da … da war ein Kellner … ein
schlechter, gemeiner Mensch … der glaubte, ich sei trunken, weil ich toll war
und tanzte und mich überkollerte beim Lachen … während ich doch nur so
glücklich war … oh, so glücklich, und da … als ich bezahlte, gab er mir
zwanzig Francs zu wenig zurück … Ich fuhr ihn an und verlangte den Rest …
er war verlegen und legte das Goldstück hin … Da … da begann sie auf
einmal grell zu lachen … Ich starrte sie an, aber es war ein anderes Gesicht …
höhnisch, hart und böse mit einem Male … ›Wie genau du noch immer
bist … selbst an unserem Vermählungstag!‹ sagte sie ganz kalt, so scharf,
so … mitleidig. Ich erschrak und verfluchte meine Peinlichkeit … ich gab mir
Mühe, wieder zu lachen … aber ihre Heiterkeit war fort … war tot … Sie
verlangte ein eigenes Zimmer … was hätte ich ihr nicht gewährt … und ich
lag allein die Nacht und sann nur nach, was ihr kaufen am nächsten
Morgen … sie beschenken … ihr zeigen, daß ich nicht geizig sei … nie mehr
gegen sie. Und am Morgen ging ich aus, ein Armband kaufte ich, ganz früh,
und wie ich in ihr Zimmer trat … da war … da war es leer … ganz wie
damals. Und ich wußte, auf dem Tisch würde ein Zettel liegen … ich lief fort
und betete zu Gott, es möge nicht wahr sein … aber … aber … er lag doch
dort … Und darauf stand … «
Er zögerte. Unwillkürlich war ich stehen geblieben und sah ihn an. Er
duckte den Kopf. Dann flüsterte er heiser:
»Es stand darauf … ›Laß mich in Frieden. Du bist mir widerlich –‹«
Wir waren beim Hafen angelangt, und plötzlich rauschte in das Schweigen
der grollende Atem der nahen Brandung. Mit blinkenden Augen, wie große
schwarze Tiere lagen die Schiffe da, nah und ferne, und von irgendwo kam
Gesang. Nichts war deutlich und doch vieles zu fühlen, ein ungeheurer Schlaf
und der schwere Traum einer starken Stadt. Neben mir spürte ich den
Schatten dieses Menschen, er zuckte gespenstisch vor meinen Füßen, floß
bald auseinander, bald kroch er zusammen im wandelnden Licht der trüben
Laternen. Ich vermochte nichts zu sagen, nicht Trost und hatte keine Frage,
spürte aber sein Schweigen an mir kleben, lastend und dumpf. Da faßte er
mich plötzlich zitternd am Arm.
»Aber ich gehe nicht fort von hier ohne sie … Nach Monaten habe ich sie
wiedergefunden … Sie martert mich, aber ich will nicht müde werden … Ich
beschwöre Sie, mein Herr, reden Sie mit ihr … Ich muß sie haben, sagen Sie
es ihr … mich hört sie nicht … Ich kann nicht mehr so leben … Ich kann es
nicht mehr sehen, wie Männer zu ihr gehen … und draußen warten vor dem
Haus, bis sie wieder herunterkommen … lachend und trunken … Die ganze
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Title
- Amok
- Subtitle
- Novellen einer Leidenschaft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Categories
- Weiteres Belletristik