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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 27
ter und die Nahrungsmittelknappheit bei gleichzeitiger anstrengender
Arbeit, war Annas Gesundheitszustand angegriffen. Die schwere Grippe-
erkrankung gefolgt von einer Mittelohrentzündung wurde später als
Tuberkuloseinfektion diagnostiziert, deren Ausheilung gut fünf Jahre in
Anspruch nahm 83 [I]hrer Gesundheit wegen84 fällt denn auch nach dem
Schuljahr 1919/20 der Entschluss gegen eine weitere Tätigkeit als Lehrerin
Schon am 12 März 1920 schrieb Anna an ihren Bruder Ernst: Frl. Dr. Gold-
man, der ich von meinem Plan, die Schule für nächstes Jahr aufzugeben,
schon gesprochen habe, will mich mit allen Mitteln halten und verspricht
mir ein Jahreseinkommen von 15.000 K, was ja nicht wenig ist. Ich habe aber
an die Geldfrage dabei kaum gedacht und es hat ja auch damit nicht viel
zu tun. Aber der Entschluß wird mir doch absolut nicht leicht und ich muß
immer sehr viel darüber nachdenken.85 Die Ambivalenz ist deutlich: Das
Aufgeben der Schule habe ich bis jetzt noch keine Minute bereut86, versi-
chert sie im August 1920, aber im Oktober klagt sie: Vom Cottage-Lyzeum
direkt habe ich noch gar nichts gehört. Ich fühle mich jetzt so herausge-
worfen aus allem, ohne daß ich doch etwas dafür eingetauscht hätte, was
mir gut tut.87 Freuds Antwort lässt auf seine dominierende Rolle in die-
sem Entscheidungsprozess schließen: Daß Du die Schule so bedauerst und
den ungenügenden Ersatz für sie, ist auch nur eine zeitweilige Folge Deiner
Verstimmung über das Kranksein88. Ich vertrage den Vorwurf sehr gut. Sei
83 Young-Bruehl, Anna Freud, I, S 111 f mit (wie so oft) nur ungenauen Quellen-
angaben Erwähnungen der Krankheiten (ohne explizite Nennung der Tuber-
kulose) aber in Freuds Briefen, z B an Martin (SF-BadK, S 155, S 158) u Lou
Andreas-Salomé (SF-LAS, S. 87, schwere Angina), bzw. rückzuschließen aus
den Briefen zwischen Anna und Sigmund im Sommer 1920 (ab S. 265 ff.), nach-
dem die Quittierung des Schuldienstes beschlossen worden war
84 SF-ME, I, S 205, Brief v 27 Mai 1920
85 FML, Briefe Anna Freud – Ernst Freud, 1919-1970, Brief v 12 III 1920
86 SF-AF, S 276
87 SF-AF, S 291
88 Seit dem Sommer 1920 ist in den Briefen zwischen Vater und Tochter von Mü-
digkeit und Rückenschmerzen die Rede (SF-AF, S. 253, S. 266, S. 271); nachdem
sich Annas Befinden im Sommer zunächst gebessert hatte, klagte sie im Oktober
erneut über Müdigkeit und nun Unterleibsbeschwerden, welche jedenfalls in den
Briefen nicht psychoanalytisch, sondern gynäkologisch gedeutet werden (SF-AF,
S 290 u S 291, Anm 2 u Freuds Antwortbrief, S 292, ohne symbolische Deutung)
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik