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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 37
zweitens berichtete sie ihm manchmal in ihren Briefen von momentan
in Arbeit befindlichen eigenen Werken.150 Dem Bruder Ernst schickte sie
sogar Textproben,151 den Freundinnen Margarete Rie und Kata Lévy152
zeigte sie ihre Geschichten, und mit Lou Andreas-Salomé – wie noch dar-
gelegt werden wird – pflegte sie über lange Zeit einen intensiven künst-
lerischen Austausch, in dem ihre literarischen Vorhaben immer wieder
Thema waren. Es scheint, dass die Absichten des Vaters für die Tochter
tatsächlich immer mehr in Richtung Psychoanalyse gingen und er die in-
frage stehenden anderen Wege – Lehrerin, Schriftstellerin, Ärztin mög-
licherweise – konsequent an Bedeutung verlieren ließ, indem er dagegen
riet oder sie einfach nicht verstärkte Keiner im Dreieck Lou – Sigmund
– Anna bekam also so ganz das, was er wollte: Anna die umhäkelte und
umstrickte ältere Freundin nicht, die ihr als vom Vater verehrte Frau sehr
gefallen hätte, Sigmund nicht die erhoffte Triangulierung – Von mir brin-
ge ich sie nicht los, es hilft mir auch niemand dabei,153 schreibt er 1925 vor-
wurfsvoll an Lou – und Lou nicht die schönste Umsetzung der väterlichen
Ps. A. in’s Weibliche, die sie im eine eigne Dichterin-Werden der Tochter
gerne gesehen hätte 154 Projektiv sind diese Wünsche jedenfalls, in vollem
Ausmaß: Ganze fünf Jahre jünger als er, sieht sie in Sigmunds Antlitz das
Vatergesicht über ihrem Leben155; bei ihnen zu Gast sein, das ist, als käm
ich heim zu Vater und Schwester,156 schreibt sie an Anna, die – folgt man
dieser Fantasie – Dichterin sein soll wie Lou, damit Lou in ihr dem Vater
nah und noch näher sein kann
Aber die Begegnung der zwei Frauen – wie wohl auch nicht die zwi-
schen Sigmund Freud und der angehenden Göttinger Psychoanalytikerin
– erschöpft sich natürlich nicht in einem bloß projektiven Geschehen. Die
150 SF-AF, S 235, S 244, S 265, S 304
151 Nr. 38, Nr. 43, Nr. 49
152 SF-AF, S 265, S 237, Anm 1
153 Gay, Freud, S. 495. Die Passage wurde im v. Herausgeber E. Pfeiffer stark ge-
kürzten Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und Lou Andreas-Salomé nicht
ediert: Brief v 10 Mai 1925, S 169 f Zum gesamten Kontext Gay, Freud, S
491 ff. u. Meyer-Palmedo in der Einleitung zu SF-AF, S. 27 f.
154 SF-LAS, S 70, Brief vom 28 August 1917
155 SF-LAS, S 225, Brief v 4 Mai 1935
156 LAS-AF, II, S 562, Brief v 31 Oktober 1928
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik