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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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Schlagephantasie ein kunstvoller, für das Leben der Betreffenden sehr be-
deutsamer Überbau von Tagträumen entwickelt, dem die Funktion zufiel,
das Gefühl der befriedigten Erregung auch bei Verzicht auf den onanisti-
schen Akt möglich zu machen. In einem dieser Fälle durfte der Inhalt, vom
Vater geschlagen zu werden, sich wieder ins Bewußtsein wagen, wenn das
eigene Ich durch leichte Verkleidung unkenntlich gemacht war. Der Held
dieser Geschichten wurde regelmäßig vom Vater geschlagen, später nur
gestraft, gedemütigt usw.166 Und weiter: Die geschlagenen Kinder sind fast
durchwegs Knaben (…). Dieser Zug (…) weist auf einen komplizierenden
Vorgang bei den Mädchen hin. Wenn sie sich von der genital gemeinten in-
zestuösen Liebe zum Vater abwenden, brechen sie überhaupt leicht mit ih-
rer weiblichen Rolle, beleben ihren ›Männlichkeitskomplex‹ und wollen von
da an nur Buben sein. Daher sind auch ihre Prügelknaben, die sie vertreten,
Buben. In beiden Fällen von Tagträumen – der eine erhob sich beinahe zum
Niveau einer Dichtung – waren die Helden immer junge Männer, ja Frauen
kamen in diesen Schöpfungen überhaupt nicht vor und fanden erst nach
vielen Jahren in Nebenrollen Aufnahme.167 Freud hatte im Oktober 1918 mit
der Analyse seiner Tochter begonnen;168 Mitte März 1919 war die Arbeit
an »Ein Kind wird geschlagen« abgeschlossen 169 An diese knüpft Anna
an, als sie im Fokus auf ihre eigene Fallgeschichte das nämliche Thema
behandelt Auch sie betont, dass schon während der (…) Entwicklung der
Schlagephantasie die Geschlechterdifferenz aufgegeben wurde und das
Mädchen sich regelmäßig in einen Knaben verwandelt hatte 170 Es ist kaum
von der Hand zu weisen, dass Freuds ›kleine Mitteilung‹ unter anderem
auf dem beruht, was die Tochter in der Analyse vorgebracht hat – Annas
Augenmerk in ihrem Vortrag galt dem (in Lous Formulierung171) ›produk-
tiven Element‹ in ihren Tagträumen Nach einer kurzen Skizzierung der
Schlagefantasie, wie ihre Zuhörer sie schon aus Freuds Mitteilung ken-
nen, kommt sie auf deren Transformation zu sprechen: etwa zwischen
166 StA VII, S 241
167 StA VII, S 242
168 SF-AF, S 222, Anm 3
169 StA VII, S 230
170 Anna Freud, Schlagephantasie und Tagtraum, S 156
171 LAS-AF, I, S 327
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik