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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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›körperlich‹ die Danksagungen: Liebe, liebe Anna, Deine guten fleißigen
Hände müßte ich mit Nardenöl salben,– oder wie das Besondere heißt, wo-
mit man Glieder ehrte,– Deine liebevollen Hände194 Oder: ich sitz in Deinem
Kleid, in Deinem Wollwunder. Als nach dem Gewitter eine solche Mordskäl-
te (Nachtfrost!) heute Morgen heraufkam, da eilte ich geschwind hinein wie
in eine Schutzhütte (*diese Mischung von Wollwärme und frischer Durch-
lässigkeit!) im Gebirgsschnee und es tröstete mich völlig über den sommer-
lichen Hochverrat. Während ich drin sitze und schreibe, sitz ich sozusagen
in Dir (…) 195 Zwar meint sie, besser hättest Du schon vor Lampl – der um
Anna wirbt196 – die Beine anstatt der Hände bewegen sollen, aber so elend
eisig, wie es in der gesamten Welt sei, schlüpfe sie gleich in die von Anna
gefertigte bunte Haut und leg[e] sie nicht mehr ab.197 Herrlich fühle sie sich
drin, [v]ermisse es beinah des Nachts.198 Einen Wunsch habe ich übrigens;
Dir ein weißwollenes Nachtkleid nachzustricken nach dem Muster eines al-
ten Benger’schen199, bietet Anna folgerichtig an, aber da winkt Lou ab:
Meine liebe Anna, – nein, nein! Du sollst mich nicht so weiter und weiter
›bestricken und umgarnen‹! Was schreibst Du da von einem weißwollenen
Nachtgewande?! Das würde ich ja doch nie des Nachts anziehen 200 Anna
indes lässt sich nicht beirren, und beide sind genug Freudianerinnen
und Dichterinnen, um dieses Spiel mit Worten nicht ganz unbewusst zu
spielen: unten ausschweifend, nicht gerade, denkt Lou sich das Nachtge-
wand Dein ›Ausschweifendes‹ wächst allmählich, darauf prompt Anna, die
von Lou noch unterstrichene Metapher weiterspielend 201 Im Juni 1925
meint Lou aber doch: Du, aber das mit dem Häkeln und der Wolle mußt
Du – wahrhaftig analysieren!! Das geht doch garnicht mehr! Tu ja nichts ehe
wir uns sprechen, und dann bestrickst Du mich doch persönlich.202 Eine Auf-
194 LAS-AF, I, S 301
195 LAS-AF, I, S 317 f
196 Vgl dazu Annas Brief vom 30 Dezember 1924, in dem sie erwähnt, dass Lampl
seine Werbung um sie jetzt endgültig aufgegeben habe. LAS-AF, I, S. 394.
197 LAS-AF, I, S 341
198 LAS-AF, I, S 353
199 LAS-AF, I, S 412
200 LAS-AF, I, S 414
201 LAS-AF, I, S 425
202 LAS-AF, II, S 456
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik