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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 65
gangen.282 Ich denke jetzt wieder sehr oft an den H.M., aber geschrieben
habe ich noch nichts davon283, erfahren wir zehn Tage später, und wieder
ein paar Tage danach, daß jetzt alles gehen müßte, sogar mein Freund H.M.
einmal zur Welt kommen.284 Und dann – nachdem er sich zwischendurch
als ›vielverschlungene Knoten‹ in einem Schleier für Lou manifestiert
hat,285 – Anfang 1923: Ich wollte es eigentlich nicht schreiben, weil es schon
eine Schande ist, aber der H.M. ist seit zwei Tagen wieder aufgetaucht, dies-
mal viel ausführlicher. Ich mach noch einen Versuch ihn einzufangen.286 Of-
fenbar wird jetzt wirklich geschrieben: Dabei gerade ist aber der H.M. wie-
der aufgetaucht und will diesmal hartnäckiger sein. Ich bin jetzt im
Schreiben an der Stelle, wo er merken soll, daß er Lisa gerne hat und stecke
da etwas; das Vorherige ist geschrieben, aber mehr wie eine Grundlage, die
erst ausgefüllt wird, wenn das Ganze fertig ist. (*Das ist dann das ›Angeneh-
me‹) Jetzt fehlt gerade ein Übergang, das Weitere weiß ich wieder so ziem-
lich.287 Auch Lou scheint die Hoffnung auf ›H.M.‹ noch nicht ganz aufge-
geben zu haben und zu überlegen, wie man für seine Entstehung
günstige Bedingungen schaffen könnte: Ich möchte wissen, ob die Wie-
derkehr von H.M. jetzt Deinen Studieneifer dämpft? Schwer zu sagen, was
günstiger für H.M. ist? sich von ihm jedesmal überrumpeln zu lassen, oder
ihm den Empfang bewußt zu bereiten? – Von Deinem Weben kommt ihm
wahrscheinlich Hilfe: eine Weberei zur andern, Mischung von Phantasiean-
regung und Exaktheit wacher Arbeit.288 Die Rede ist hier von Annas voran-
schreitender Ausbildung zur Analytikerin und der Teppich- und Gobelin-
Webeschule, die sie seit Jahresbeginn 1923 besucht 289 Der H.M. stört mich
nur im Lesen, aber im Weben kann er sich, so wie Du vermutest, ausleben290,
bestätigt Anna. Die väterlichen Überlegungen zum Weben und den Frau-
282 LAS-AF, I, S 93
283 LAS-AF, I, S 100
284 LAS-AF, I, S. 104; wohl Freud’sche Verschreibung im Original oder durch die
Editorinnen: mein Freud H.M.
285 LAS-AF, I, S 117
286 LAS-AF, I, S 133
287 LAS-AF, I, S 137 f
288 LAS-AF, I, S 143
289 LAS-AF, I, S 127
290 LAS-AF, I, S 147
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik