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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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en stammen aus dem Jahre 1933 291 Sie sind dem Erleben der Tochter
nahe und doch weit davon entfernt: Für den Vater ist das Weben weibli-
che Produktivität an sich; jedoch als Ausdruck eines Mangels genuin de-
fizitär. Für die Tochter ist es Befreiungs- und Entfaltungsraum für das
Schreiben, Metapher einer Analogie zwischen dem mit Händen sinnli-
chen Tun und dem geistigen Schöpfungsakt Wenn Sprache Erfahrung
repräsentiert, erlebt Anna beim Weben etwas, was dem Schreiben so
eigen ist, dass es zum Wort selbst dafür geworden ist: lat. texere heißt
›weben/flechten‹ und steht etymologisch hinter dem Begriff ›Text‹. – Ob-
gleich sie bemerkt, dass da irgend was zwischen [steckt], wie ein Knoten
in der Weberei, oder Ihr könnt Euch nicht recht in Zweie teilen: Du und er?292,
bleibt Lou den Stückchen des H.M. gewogen293, und Anna meint: Wenn ich
Dir jetzt den H.M. in kleinen Stücken immer vorlesen könnte, dann würde
ich, glaube ich, mit ihm fertig werden.294 In diesem Frühjahr, 1923, besucht
sie Lou, die Schwedenreise wird für 1924 geplant, der Bahnwagen, worin
H M fährt, wird am Ende noch in einem skandinavischen Waggon bestehn
und nächsten Sommer über’s Wasser setzen.295 Die direkte Begegnung mit
Lou, das Reisen würde dem ›H.M.‹ guttun – aber jetzt wird alles anders:
Im April muss sich Freud einer vermeintlich kleine[n] Operation im Rachen
unterziehen 296 Sie ist der Auftakt zu einer Serie von über dreißig Opera-
tionen infolge eines Mundhöhlenkarzinoms bis zu seinem Tod 1939 297
Und dem noch nicht genug, stirbt am 19 Juni der Heine(r)le, Sophies
jüngerer Sohn, den Annas kinderlose Schwester Mathilde und ihr Ehe-
mann Robert Hollitscher zwei Jahre nach Sophies Tod bei sich aufgenom-
men hatten und den auch Anna immer wieder in ihre Obhut nahm 298 Ich
erkenne, mir wurde der Trank in zwei Portionen vorgesetzt, den Sie auf
einmal leeren mußten, schreibt Freud an Jones Sophie war zwar eine liebe
Tochter, aber kein Kind. Erst als drei Jahre später, Juni 1923, der kleine
291 StA, I, S 562
292 LAS-AF, I, S 164
293 LAS-AF, I, S 158
294 LAS-AF, I, S 156
295 LAS-AF, I, S 171
296 LAS-AF, I, S 175
297 Kollbrunner, Der kranke Freud
298 SF-BadK, S. 458 und Annas Briefe an Lou ab 8. Juni 1923, LAS-AF, I, S. 194 ff.
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik