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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 67
Heinele starb, wurde ich auf die Dauer lebenssatt.299 Keine guten Zeiten für
›Heinrich Mühsam‹. Er wird im Briefwechsel mit Lou auch nur noch ein
Mal erwähnt – retrospektiv 300
Etwas scheint Lou Andreas-Salomé in ihrer Rolle als Förderin der litera-
rischen Ambitionen von Anna Freud übersehen zu haben: dass Kreativität
Freiheit braucht Zwar entgehen ihr Annas innere Blockaden nicht, aber
der blinde Fleck scheint dort zu liegen, wo sie selber in das Geschehen
involviert, ja verstrickt ist. Zu sehr wünscht sie sich ihr Dreieck, als dass sie
Annas expansive Impulse bemerken und ermutigen könnte Der Brief-
wechsel dokumentiert die zentrale Position, die Lou in Annas Bindung an
den Vater einnimmt Verstärkt ab seiner Krebserkrankung ist sie es, die
Anna vehement zur Übernahme der Rolle als Pflegerin drängt und jeden
Zweifel Annas, jeden Ausbruchsversuch im Keim erstickt Das Amt der
Haustochter und hierbei wieder, mit Wichtigkeit jeder Minute darin, der Va-
tertochter sei ihr anvertraut, so Lou nicht lange vor Freuds erster Operati-
on Schreibe ruhig jeden Zweifel darüber Deinen ›Hemmungen‹ zu 301 Und
noch einmal: Und jedesmal freu ich mich dessen so, Dich zuhause inmitten
jener ›Identifikation‹ – mit dem Vater – zu wissen, von der die meisten Men-
schenkinder nur als Hemmung wissen, und die Dir als seltenster Reichtum
geschenkt wurde zu sorglosem Wachsen und Genießen. Laß ihn Dir nie und
durch nichts verkümmern, und nur was das zu tun droht, guck Dir pflicht-
schuldigst als ›Hemmung‹ an.302 Es ist nicht zuletzt Lous Theorie der Weib-
lichkeit, die sie auch in Bezug auf Anna leitet: Frei nach Goethe tut sie
Anna kund, dass uns Weibsen doch der beglückteste Zustand (…) derjenige
freiwilliger Abhängigkeit303 sei, oder prägnant auf den persönlichen Punkt
gebracht: Dir wie mir sind diese Dinge, die Deines Vaters und durch ihn unser
Bestes, ja doch am wichtigsten.304 Lou war von dieser Sichtweise zutiefst
überzeugt. 1928 publizierte sie im Almanach des Internationalen Psycho-
analytischen Verlages einen Aufsatz mit dem Titel »Was daraus folgt, daß
299 SF-EJ (a), S 60, Brief vom 11 März 1928
300 LAS-AF, I, S 211
301 LAS-AF, I, S 136
302 LAS-AF, I, S 171
303 LAS-AF, II, S 456
304 LAS-AF, II, S 574
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik