Page - 75 - in Anna Freud - Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Image of the Page - 75 -
Text of the Page - 75 -
ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG 75
alität der Vertreibung und Enteignung wurde Anna und Dorothy 1938
das Haus entrissen Der erzwungene Verkauf war ein scheinbarer, denn
de facto haben die beiden das vom Kaufpreis nach Abzug der sarkasti-
scherweise so genannten Reichsfluchtsteuer und aller weiteren Gebüh-
ren übriggebliebene Geld nie bekommen.350 1946, als sie und Dorothy
ein Haus in Walberswick, Suffolk, gekauft haben, schreibt Anna Freud
an August Aichhorn: Und Mrs. Burlingham und ich haben uns ein kleines
Haus am Meer, an der Ostküste von England gekauft, eine Art Ersatz für
das verlorene Hochrotherd, das wir sehr schwer verschmerzen. Vorläufig
ist es ein ganz leeres Häuschen, aber im Laufe der nächsten Monate hof-
fen wir es mit den bunten Bauernmöbeln aus Hochrotherd einzurichten.351
1948/49 bemüht sich Anna Freud mithilfe von August Aichhorn um die
Rückerstattung des Hauses, »um es der Familie Fadenberger, die dort
schon vor 1938 die Wirtschaft geführt hatte und sie auch danach weiter
führte, zu schenken.«352 An Lotte Sweceny, deren Ehemann Hochroth-
erd für sie ›gekauft‹ hatte, als die Freuds aus Österreich fliehen muss-
ten, schreibt sie am 7 April 1948: Mrs. Burlingham und ich würden gerne
den Verkauf des Gutes wieder rückgängig machen, also wieder in unser
Besitzrecht eintreten, dann aber das Gut als freiwillige Schenkung dem
Ehepaar Fadenberger und ihrer Tochter übertragen. (…) Sie dürfen mir
nicht böse sein, wenn diese unsere Absicht nicht mit der Ihren zusammen-
trifft. Ich denke, Ihr Wunsch ist es, Hochroterd [!] zu behalten und wieder
aufzubauen (…) Sie wissen sicher, wie schwer es mir damals geworden
ist, Hochroterd [!] aufzugeben. Ich hatte durch Jahre alles Geld, das ich
erübrigen konnte, in diesen kleinen Besitz gesteckt, in der Hoffnung etwas
für die Zukunft davon zu haben (ganz abgesehen von den vielen Gedanken
und Gefühlen, die ich hineingesteckt habe). Wenn es auch von Ihrer Seite
aus eine Art ›Kauf‹ war, so war es doch von meiner kein ›Verkauf‹ in dem
Sinn, dass ich je etwas dafür bekommen hätte.353 Die Verhandlungen, die
sich bis ins Jahr 1951 hinziehen und schließlich zu einem Vergleich füh-
ren, erscheinen teilweise grotesk – zum Beispiel darin, dass Anna einen
350 AF-AA, S 301, 316
351 AF-AA, S 209
352 AF-AA, S 301
353 Zit nach AF-AA, S 343, Anm 91
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anna Freud
- Subtitle
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Editor
- Brigitte Spreitzer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Size
- 13.5 x 21.0 cm
- Pages
- 144
- Keywords
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Categories
- Weiteres Belletristik