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jungen Jahren können das Tempo, in dem die Kerze von beiden Enden
abbrennt, nicht mindern.
Hegt seine Idiosynkrasien, namentlich jene gegen die »Feschität« in
all ihren Erscheinungen:10 gegen die schmissige Offiziersschneid; die
Kreuzfidelität der Operette; die kecke, sich kühn wähnende Anders-
meinung, die sich, genau besehen, nur triumphanter Unbildung schul-
det; die fixfingerig »flotte« Schreibe, die schlicht oberflächlich ist; die
glatte, ganz auf up-to-date gebürstete Versiertheit; die blickheischende
Pose der Ungezwungenheit; den »Feschak«, der mit neckischen Acces-
soires »Charakter« und »Persönlichkeit« markiert und doch nicht ka-
schieren kann, daß er seicht ist.
Hotel-Jahresmieter seit seinem 17. Lebensjahr. – Häuslichkeit,
»Heim« sind ihm Vorschein des Todes. Er ist geradezu manisch auf
Achse. Unterwegs
– ob zu Vorträgen oder privat
–, hat er das »beruhi-
gende« Gefühl, »Durchgangspassagier der Erde zu sein«.11
Bohemien, ostentativ. Das ist ihm keine Attitüde, die sich darin er-
schöpft, später aufzustehen als andere Leute, den restlichen Tag von drei,
halb vier Uhr nachmittags bis Mitternacht im Kaffeehaus, dann in Bars
zu verbringen, dem Alkoholgenuß zuzuneigen, seine Zechen aufschrei-
ben zu lassen, seine Papiere in Unordnung zu haben, seine Haare un-
frisiert zu tragen, Artikel nicht zu liefern, für die er schon Vorschuß
kassiert hat, seine Liebschaften öffentlich zu erledigen.12 Vielmehr be-
steht er darauf, über jene Fasson, die vom bürgerlich-behördlichen Ge-
setzbuch zugeschnitten wird, hinaus selig zu werden.13 Nimmt sich die
Freiheit, nach dem Wahlspruch »Quod licet bovi, non licet Jovi!«14 zu
leben, oder: Alles, was Gott verboten hat. Nachtschwärmer, dem der
Morgen »kein Anfang ist, sondern ein Ausklang«, zu dem Begriffe wie
Décadence, Eros, Geliebte, Aroma, Freude, Anarchismus gehören,15
der »im Achtstundentag der Arbeit eine geringere Dotation des Erden-
glücks und der Freiheit erblickt als in der Vierundzwanzigstunden-
nacht der Liebe«.16 Läßt keine Gelegenheit aus, das »Épater le bourgeois«
geistlaunisch zu exerzieren. Immer wieder gelüstet’s ihn, »aus bösem
proletarisch-ruppigem Trieb« die Auslagenfenster einzuschlagen, hin-
ter denen sich wer oder was auch immer dem gutbürgerlichen Idyllen-
bedürfnis darbietet.
»Schmutzfink der Aufrichtigkeit«, ist er ein »geborene[r] Spiel-
verderber«.17 Bildung ist ihm kein zeitfernes Ornament, sondern »Instru-
ment eines zeithellen Verstandes«.18 Dem Zeremoniellen, dem Würde-
Getue, der Attitüde der Wohlanständigkeit, dem Neid, der sich als
Sittlichkeit drapiert19, begegnet er in antibürgerlichem Affekt mit dem
Götz-Zitat.
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien