Page - 59 - in Anton Kuh - Biographie
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Auch Kurt Tucholsky durfte eines der Kuhschen »Privatkabaretts«
erleben, eine Improvisation französischer Parfum-Namen: »Ich habe
fast alle vergessen, aber es war zum Heulen.«87
In Verlegenheit gerät Kuh regelmäßig, wenn er, auf Vortragstournee
im Dritte-Klasse-Abteil durch die Tschechoslowakei unterwegs, von
Mitreisenden im Coupé, zumeist Handlungsreisende, die, ein Gespräch
anknĂĽpfend, von ihm wissen wollen, in welcher Branche er denn reise:
»IchÂ
… rede.«Â
– »Sie reden? Das tun wir alle.«Â
– »Ich meineÂ
– ich halte
Vorträge.« – »Schön. Aber für welchen Artikel halten Sie die Vor-
träge?« – »Die Vorträge sind mein Artikel.« Unbehagliche Verlegen-
heit, die sich nur durch die Verständigung über saisonale Konjunktur-
schwankungen und die schnöde Welt von Chefs und Kundschaften
ausräumen läßt.Â
– »Nach zehn Minuten bin ich nicht mehr der Stegreif-
redner A. K., der im Nebenberuf Aufsätze schreibt, sondern ein Garn-
reisender der Firma Demosthenes und Cie. Wirtschaftlich untergrĂĽndet
und soziologisch eingeordnet verlasse ich am Reiseziel meinen Waggon.
Ich komme mir seriös vor.«88
Es hätte durchaus sein können, daß er auch einmal mit jemand im
Abteil zu sitzen gekommen wäre, der im selben Artikel reiste, denn
Handlungsreisende in Geist und Kultur sind in den 1920er und 1930er
Jahren zuhauf unterwegs: Rezitatoren mit literarischen Programmen,
Autoren, die aus eigenen Texten lesen, Universitätsprofessoren, die
neueste naturwissenschaftliche Erkenntnisse unters Volk bringen, Reise-
schriftsteller, Lebensreformer, Okkultisten, Spiritisten und politische
Propagandisten jeglicher Spielart und CouleurÂ
– die von den Zeitungen
in eigenen Rubriken wie »Aus dem Vortragssaal«, »Vorträge«, »Ver-
anstaltungen« oder »Kunst, Wissenschaft, Literatur« nicht nur angekün-
digt, sondern auch besprochen werden.
Anton Kuhs Stegreif-Reden, sein Hauptwerk, sind bis auf wenige
Ausnahmen ein für allemal verschollen. Seine Rezensenten äußern viel-
fach und nachdrücklich den Wunsch, Kuh möge seine Reden doch
niederschreiben, Freunde beschwören ihn, sie auch in Broschürenform
zu veröffentlichen. Dafür ist der Improvisator nicht zu gewinnen. Er
weiß sich dabei in bester Gesellschaft: Auch der Ritter Falstaff könnte
sich im Wort toller und sprachtrunkener ĂĽberkugelt haben, als es sogar
ein Shakespeare nachgemalt habe. Eine Ahnung davon gebe »jener an-
dere Falstaff, der sein eigener Shakespeare sein wollte«: Peter Alten-
berg. »Welcher matte Löschblatt-Abdruck seiner Ekstasen sind die
Werke dieses Mannes für den, der ihn reden gehört hat! Und noch ein
anderer, längst Vergessener, fällt mir ein, mein – wenn ich es sagen
darfÂ
– erlauchter Vorgänger auf dem Podium: der Westpreuße Bogumil
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter SchĂĽbler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien