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Herleitung ist etwa folgende: Eine Zeitung muß als Weltprodukt die
Welt bejahen, damit sich der Abonnent in ihr beruhigt, wohlig, sicher
fühlt und an sie glaubt. Ergo ist sie für Fortschritt, Entwicklung, Tech-
nik, mehr Licht und weniger Denken. Außerdem für alles, was besteht,
für Staat, Stadt, Bezirk, Straße, für den Bestand in jeglicher Art. Das
macht ihr manchmal Schwierigkeiten. Aber mit bißchen impressionisti-
schem Holldrioh, mit schelmischer Gemütssolidarität und Resignations-
brüderlichkeit bringt man alles zustande
– auch auf zerrissenem Boden
zu stehen und auf ihm zu hüpfen, ad absurdum geführt zu werden und
zu tirilieren. Im gewissen Sinne war darin jeder Österreicher Feuilleto-
nist, der Feuilletonismus geradezu seine Weltanschauung, die einzige
Form, in der sich das Widerstreitende zur Bejahung schließen konnte.
Die Erde klafft unter den Füßen, die Tschechen ziehen am Seil nach
Nordwesten, die Polen nach Nordosten, die Ungarn nach Osten, die
Slowenen nach Süden, alle gegen einen, einer gegen alle
– was tut er da?
Er denkt: es ist nicht schön, aber ihr meint es ja nicht so. Denn das
Burgtheater ist doch ein ganz schönes Theater, und der Prater hat sehr
alte Bäume, und vom Kahlenberg ist eine sehr hübsche Aussicht, und
i
bin du, und du bist i, und wir gehören alle zusammen. Der Radetzky-
marsch überbraust ja doch euer Gezänk und ihr marschiert eingehängt
mit … So löst sich in einer Wurstelpratervision aller Widerspruch.«142
Unter die »Feuilletontapezierer«, die sich »von der Wirklichkeit
zu einer phänomenalen, großstaatlichen Lesebucherinnerung (Karl V.,
Thu gut, Prinz Eugen und die spanische Erbfolge) mit holdseliger Ope-
rettengegenwart« gerettet haben, rechnet Kuh etwa Felix Salten, Hans
Müller, Hugo von Hofmannsthal, Richard Schaukal und Mirko Jelu-
sich. Männern wie Jelusich müsse man auf die Finger schauen: »Gebt
gut acht, was sie tun und reden! Und ob sie es wagen, sich in den Vorder-
grund einer Zeit zu stellen, deren größtes Hindernis sie waren.«143 Und
er ruft dazu auf, am »Tourniquet der neuen Zeit« Kontrollorgane auf-
zustellen, die diese Herrschaften, sollten sie versuchen, »mit unschuldi-
ger Miene« in die neue Zeit hinüberzuschleichen, »kurzweg beim Ge-
nick packen und wieder hinauswerfen«.144
Seine »Proskriptionsliste« schlägt Kuh in der von Benno Karpeles
mitten im Krieg verwegen lancierten pazifistischen Wochenschrift »Der
Friede« an, die »aus dem Geist der Empörung gegen das Bestehende«,
gegen die »Sintflut von Blut und Dreck« geboren ist.145 Karpeles schart
die besten Köpfe und wachsten Geister um sich, die Liste der Mitarbeiter
nimmt sich aus wie das Who’s who der zeitgenössischen politischen
und literarischen Intelligenz. Er holt renommierte Journalisten in die
Redaktion – Karl Tschuppik, Alfred Polgar, Richard A. Bermann –,
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien