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84 »Polemische Lassos« –
Der »apostolische Denunzius« Karl Kraus
Auch wenn Kuh wenig über hat für das aktivistische Literatentum, er-
greift er im Sommer 1919 Partei für eine Gruppe Wiener Schriftsteller,
unter der Karl Kraus meinte Umschau halten zu müssen.
In den Aufsätzen »Proteste« und »Gespenster« legt Kraus Ende Juli
1919 eine umfassende Analyse der politischen Situation der jungen
österreichischen Republik vor und geht mit jenen Literaten, die sich
gegen Ende des Weltkriegs politisch zu betätigen begannen und sich
nach dem Sturz der Habsburgermonarchie für die sozialistische Revo-
lution in den Nachfolgestaaten stark machten, heftig ins Gericht.1
Die Vorgeschichte: Ohne deren Einverständnis einzuholen, hatte der
anonyme Verfasser einer Depesche, in der gegen die vermeintlich dro-
hende Hinrichtung Ernst Tollers in München protestiert wurde, Anfang
Juni 1919 die Namen bekannter Wiener Politiker und Künstler unter
dieses Schreiben gesetzt. Während sich die meisten »Unterzeichner«
davon distanzierten, sprachen Franz Blei, Albert Ehrenstein, Alexander
Moissi, Albert Paris Gütersloh, Ida Roland, Hugo Sonnenschein und
Franz Werfel in einer Erklärung dem »mutigen Anonymus, der in einem
Augenblick, da einem Kameraden in München die Rache des blutdür-
stigen Bürgertums drohte, unbekümmert unsere Namen unter seinen
Protest setzte«, ihren »wärmsten Dank für diese Handlung aus«.2
Dieselben Namen (mit Ausnahme Ida Rolands) figurierten auf einem
»Flugblatt«, das sich am 20. resp. 21. Juni in einigen Wiener Tageszeitun-
gen fand3: einer Protestnote, die sich gegen Gewaltexzesse der ungari-
schen Räterepublik und namentlich Tibor Szamuelys wandte
– und die
»Unterzeichner« als Opportunisten und Feiglinge bloßstellte. Sie be-
dankten sich nämlich erneut dafür, daß sie ungebeten gegen die Hin-
richtung Tollers hatten protestieren dürfen und auf diese Weise »der
Erfüllung [ihrer] Humanitätspflicht enthoben« waren; und sie bekann-
ten, daß »unsere Proteste gegen die Millionen Morde und Hinrichtungen
Unschuldiger, die zwischen dem Kriegsbeginn und dem Zusammen-
bruch der Militärmonarchien erfolgt sind, nur deshalb nicht laut werden
konnten, weil damals Schweigen geboten war und wir, mit Ausnahme
des Kriegsfreiwilligen Moissi, uns alle in Positionen befanden, die wir
andernfalls gegen die Aussicht eingetauscht hätten, unsere eigene körper-
liche Sicherheit zu gefährden. Hätte damals ein mutiger Anonymus unter
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book Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Anton Kuh
- Subtitle
- Biographie
- Author
- Walter Schübler
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Size
- 13.8 x 22.2 cm
- Pages
- 576
- Category
- Biographien